London. . Mit seinem dritten Soloalbum wagt der Take-That-Texter Gary Barlow noch einmal einen Alleingang. Ein ehrliches Gespräch über Höhenflüge und Abstürze und die Frage, was er seinem Idol Elton John zu verdanken hat. Und warum es mit Take That weitergehen wird.

In Großbritannien gehört Gary Barlow (43) zu den erfolgreichsten Musikern seiner Zeit: Er schrieb nahezu alle Hits von Take That, organisierte 2012 das Konzert zum 50. Thronjubiläum der Queen – und für sein drittes Soloalbum „Since I Saw You Last“ wurde er gerade mit Doppel-Platin ausgezeichnet. Doch auf dem Weg zurück an die Spitze musste Barlow einige Niederschläge einstecken. Katja Schwemmers hat den Sänger in einem „Members only“-Club im Herzen des Londoner Stadtteils Notting Hill getroffen.

Mr. Barlow, Sie sehen heute besser aus als Mitte der Neunziger. In England werden Sie sogar als Sexsymbol gehandelt. Wie haben Sie das angestellt?

Gary Barlow: Verzicht und Training! Ich quäle mich kontinuierlich. Denn wenn ich Ihnen meinen Bruder vorstellen würde, könnten Sie mit eigenen Augen sehen, dass ich nicht dafür gemacht bin, so fit auszusehen wie jetzt. Auch mein Vater war ein schwerer Junge. Das sind die Gene der Familie. Ich muss also ständig aufpassen.

In Großbritannien sind Sie ja in den letzten Jahren zu einer Art Nationalheiligtum aufgestiegen. Die Queen hat Ihnen Ende 2012 den OBE – den Order Of The British Empire – verliehen.

Barlow: Das war natürlich eine Ehre! Aber wenn man das Organisieren von Konzerten für die Queen und die Wohltätigkeit mal beiseite lässt, ist die Musik immer noch der Grund, warum ich morgens aufstehe. Und durch die vielen positiven Signale der letzten Jahre fühlt es sich wie der richtige Zeitpunkt an, nach 14 Jahren ein drittes Soloalbum rauszubringen.

Weil Sie beflügelt sind von Ihrer neu gewonnenen Popularität?

Barlow: Die hat mir zumindest Selbstbewusstsein gegeben! Ich habe die letzten Jahre ja immer gesagt, ich würde nie wieder eine Soloplatte veröffentlichen, weil der Flop des letzten Albums Wunden bei mir hinterlassen hat. Von aller Welt verspottet zu werden und zusehen zu müssen, wie Robbie Williams Karriere macht und Witze über mich reißt, war alles andere als einfach.

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Auch wenn in meinem Privatleben zu der Zeit wundervolle Dinge passiert sind, wie ein Baby zu bekommen und zu heiraten: Meine Karriere war vorbei, und ich war gerade mal Mitte 20! Es war wirklich lehrreich zu sehen, wie Leute aus dem Business nicht mehr ans Telefon gingen, wenn ich anrief.

Sie sind demütig geworden!

Barlow: Ja, sehr sogar.

Und freuen sich, als sympathischer Mensch geachtet zu werden?

Barlow: Nicht als das gesehen zu werden, was man eigentlich ist, hat mich damals am meisten bedrückt. Weil jeder zu mir sagte: „Wie kommt es, dass die Leute nicht wissen, wie du bist?“ Aber das war vielleicht auch Teil des Boybandkonzeptes, dass niemand herausfand, wer wir wirklich waren, weil wir so beschützt wurden. Es ist schön, diesmal ich selbst sein zu können.

Im Titelsong Ihres neuen Albums, „Since I Saw You Last“, lassen Sie Ihre wenig erfolgreichen Jahre von damals Revue passieren.

Barlow: Es gab damals nur drei, vier Leute, die weiterhin zu mir standen. Neben meiner Frau war das vor allem Elton John. Er hat mich weiterhin zu sich nach Hause eingeladen oder mich spontan angerufen. Das hat mir damals wahnsinnig viel bedeutet. Das tut es heute noch.

Und deshalb singen Sie nun das Duett „Face To Face“ mit ihm auf Ihrer Platte?

Barlow: Ich hatte Elton das Lied geschickt, und er hat sofort zugesagt. Wir haben den Song und das Video dann standesgemäß an einem Piano in den Abbey-Road-Studios aufgenommen – innerhalb von drei Stunden war alles im Kasten.

Hat sich damit ein Traum erfüllt?

Barlow: Das hat es. Denn Elton ist schon seit Kindheitstagen mein Idol. Meine Mum hat seine Platten immer bei uns Zuhause aufgelegt. Elton ist der Grund, warum ich Musiker geworden bin und mich als Heranwachsender überhaupt hinter ein Klavier gesetzt habe.

Mit Ihrer Frau Dawn sind Sie seit 18 Jahren zusammen. Was ist das Rezept Ihrer Ehe?

Barlow: Ich denke, das geht zurück auf meine Zeit als Heranwachsender. Ich habe immer zu meinen Eltern aufgeschaut. Denn die führten 42 Jahre lang eine sehr glückliche Ehe, hatten nie ernsthaft Streit und ein großartiges Leben, bis mein Vater 2009 verstarb. Als Sohn ist dein Vater immer eine Inspiration.

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Als ich in den Neunzigern darüber nachdachte, mich sesshaft zu machen, fand ich die richtige Person dafür: Dawn war früher Tänzerin bei Take That. Ich habe unsere Beziehung nie angezweifelt. Meine Frau ist unglaublich tolerant, was mein Arbeitspensum angeht. Es ist bis heute eine extrem glückliche Beziehung. Wir haben drei wunderschöne Kinder, und wir sind im wahrsten Sinne des Wortes durch Dick und Dünn gegangen.

2012 hatten Sie einen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie mit dem Lied „Dying Inside“ die Totgeburt Ihrer Tochter Poppy verarbeiten?

Barlow: Ja, das ist richtig. Ich muss zugeben, dass ich immer wieder hin- und herüberlegt habe, ob ich das Lied mit auf das Album packen soll oder nicht. So ging das über viele Monate.

Sie singen in dem Song davon, wie Sie sich jede Nacht in den Schlaf geweint haben, während Sie nach außen hin ein Lächeln aufsetzten.

Barlow: Genau so war’s. Eine Woche nachdem es passiert war sollten Take That bei der Olympia-Abschlussveranstaltung in London auftreten. Ich musste also in die Öffentlichkeit, obwohl ich mich miserabel fühlte und alle wussten, was los war. Ich habe mein tapferstes Gesicht aufgelegt, was wohl eine britische Tugend ist, und mich auf diese Bühne begeben. In solchen Momenten wünscht man sich, unsichtbar zu sein. Ich beschwere mich nie über meinen Job, denn ich weiß, dass ich in einer sehr glücklichen, privilegierten Position bin. Aber es gibt Zeiten, wo es sehr hart ist, in das Scheinwerferlicht hinaus zu gehen.

Sie haben ein Saubermann-Image. Was war denn das Rebellischste, was Sie getan haben?

Barlow: Ich kann mir heutzutage nichts mehr erlauben. Ich bin ja Familienvater. Da kannst du dich nicht großartig daneben benehmen, denn du musst für deine Kinder mit gutem Beispiel voran gehen. Aber früher in den wilden Take-That-Zeiten hatten wir jede Menge Spaß. Wenn fünf junge Typen um die Welt reisen, muss man die Fantasie nicht zu sehr bemühen, um sich das vorstellen zu können. Wir sind alle auf unsere Kosten gekommen und haben den Traum wirklich gelebt. Ich konnte die Zeit irgendwann hinter mir lassen mit dem Wissen, dass ich sie vollends ausgekostet hatte. Darüber bin ich froh, aber das Kapitel ist beendet.

Wie geht es mit Take That und Robbie Williams weiter?

Barlow: Take That ist heute wie ein Club: Wenn ein Mitglied der Band ein Jahr fernbleibt, machen wir zu viert weiter. Ob Robbie beim nächsten Take-That-Album dabei sein wird, steht noch nicht fest. Ich aber habe beschlossen, mich dieses Jahr in erster Linie auf Take That und unser neues Album zu konzentrieren, das auch noch in diesem Jahr erscheinen soll. Darauf freue ich mich.