. Belcanto singt sie zum Niederknien, aber auch Mozart und Strauss sind ihre Hausgötter: Im Interview erzählt die 33-jährige Sopranistin Olga Peretyatko von ersten Auftritten in Berliner Altenheimen und Krankenhäusern und ihrem langen Weg ganz nach oben. Ende Januar tritt der Opernstar in Essens Philharmonie auf.

Neuer Stern am Opernhimmel“, „perfekte Triller“, „Ausnahmesängerin“: Die Kritiker jubeln, das Publikum steht kopf, wenn eine junge Petersburgerin, die in Berlin das Singen lernte, die Stimme erhebt. Es ist Olga Peretyatko. Belcanto singt sie zum Niederknien, aber auch Mozart und Strauss sind ihre Hausgötter. Lars von der Gönna sprach zehn Tage vor ihrem Essener Konzert mit der 33-jährigen Petersburgerin über Karate, faule Sänger und lange Karrieren.

Frau Peretyatko, Sie sind die erste Sopranistin, die ich kennenlerne und die Karate kann.

Olga Peretyatko: Inzwischen singe ich, wie Sie wissen, also keine Angst...

Eine Karateregel heißt: „Die Kunst des Geistes kommt vor der Kunst der Technik“.

Peretyatko: Stimmt völlig. Auch im Gesang. Im Kopf triffst du die Entscheidung. Mit dem Geist wählst du, was passiert. Das ist dein Wille. Wenn du entschieden hast, was du mit deinem Leben machst, dann folgt alles andere nach.

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Und wer ist nach dem Kopf Ihr zweitwichtigster Berater?

Peretyatko: Mein Bauch! Aber ich glaube fast, Kopf und Bauch sind bei mir ein und dasselbe. Sie wissen schon, was ich meine! (lacht)

Vor allem weiß ich, dass mir der Biss imponiert, mit dem Sie Karriere gemacht haben. Eine junge Petersburgerin kommt nach Berlin, ohne Geld, ohne Deutschkenntnisse. Aber sie will hier unbedingt studieren — und singt zum Geldverdienen im Altenheim...

Ungefähr so, ja, ich bin auch ganz viel in Krankenhäusern aufgetreten. Wir waren ein Quartett, das gab 50 Euro pro Auftritt.

War das eine Schule fürs Leben?

Peretyatko: Eine Schule, dass man nichts geschenkt bekommt. Dass man für sich verantwortlich ist. Dass Dinge etwas kosten. Auch wenn viele meinen, es ginge ohne Arbeit...

Erleben Sie das so?

Peretyatko: Ja, manchmal frage ich mich, was in den jungen Mädchen vorgeht. Auch in denen, die nach mir in Berlin Gesang studieren. Die sagen: „Ach, wie hat die Olga das geschafft? Das sah alles so leicht aus! Und dann der Vertrag mit Sony...“ Die Wahrheit ist: Man muss arbeiten wie keiner sonst. Ich beobachte leider, dass die ziemlich faul sind. Die machen eher Tai Chi statt noch eine Stunde Gesang zu bekommen. Ich habe meine Zweifel am deutschen Ausbildungssystem.

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Inwiefern?

Peretyatko: Also in meinem Fall kam die allererste Prüfung nach vier Semestern, das ist doch wohl absurd, ein Witz! Da kann man zwei Jahre gar nichts machen, und dann reicht sogar noch eine Drei, um durchzukommen. Also wirklich!

Wie war es in Ihrer Heimat?

Peretyatko: Was ich in Russland gut fand: In jedem Semester hat ein Student ein Examen gemacht, ein Konzert mit neuem Programm, auswendig. Das ist hart. Aber es bereitet dich aufs Leben vor! Ich erlebe heute Studenten, die haben echt keine Ahnung von der Realität.

Sie sind ganz oben. Also haben Sie dafür gearbeitet wie verrückt?

Peretyatko: Ja. Und wissen Sie was? Ich arbeite heute noch wie verrückt. Jeden Tag. Was sollst du machen? Das ist dein Leben. Anders geht es nicht. Wer ganz oben steht, weiß das.

Sie singen wunderbare Partien grandioser Opern: Gilda, Marfa, Lucia. Lauter tragische Frauenschicksale. Alles Opfer – und alles Männerfantasien.

Peretyatko: Tja, das war die Zeit. Männer schrieben die Geschichten, Männer vertonten sie. Es ist eine Männerwelt, immer noch vielleicht. Als Darstellerin versucht man, möglichst viele interessante Schattierungen herauszuarbeiten. In jeder Partie versuchst du natürlich auch, etwas Olga einzubringen.

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Zürich, New York, Wien: Die Bühnen der Welt reißen sich um Sie. Müssen Sie heute öfter mal nein sagen?

Peretyatko: „Nein“ habe ich auch früher schon gesagt. (lacht) Aber klar: Ich will keine kurze Karriere. Ich möchte lange singen. Da muss man nein sagen, darf nicht zu oft auftreten. Sechs Konzerte in einer Woche: Das gibt es bei mir nicht. Wir werden nicht jünger, leider. Der Körper braucht Zeit, ich passe auf.

Vermutlich haben Sie die schlechten Beispiele im Auge...

Peretyatko: Aus den Fehlern der Anderen zu lernen, ist leichter gesagt als getan. Aber ich versuche es.

Info: Operngala mit Olga Peretyatko/Münchner Symphonikern: Rossini, Mozart, Bellini: So, 26.1., 17 Uhr, Philharmonie Essen. Karten Tel. 0201-81 222 00