Berlin. . Der weit ausgreifende Titel steht in einem gewissen Gegensatz zum eher schmalen Umfang des neuen Buches von Inge Jens: “Am Schreibtisch - Thomas Mann und seine Welt“. Es ist aber ein kleines Handbuch “für Einsteiger“, die bislang vor allzu dicke Mann-Biografien zurückgeschreckt sind.
Was wäre Thomas Mann ohne seinen geliebten Schreibtisch gewesen. Natürlich ist das eine hypothetische Frage und eine Binsenweisheit dazu. Aber angesichts des wechselvollen Exil-Schicksals des Autors der "Buddenbrooks" und des "Zauberbergs", dem von München über Südfrankreich bis Kalifornien und Zürich der imposante Mahagoni-Schreibtisch ständiger Begleiter blieb, war es für Inge Jens eine verlockende literarische Idee. Sie geht diesen Spuren noch einmal aus diesem Blickwinkel nach: "Am Schreibtisch - Thomas Mann und seine Welt" (Rowohlt Verlag).
Diese enge Symbiose zwischen einem Schriftsteller und seinem wichtigsten Möbelstück über so viele verschiedene Lebensstationen hat es nach Meinung von Inge Jens "in der Geschichte der Emigration sonst nirgendwo gegeben". Dass es einem der vielen anderen Emigranten gelang, den eigenen voluminösen Schreibtisch nicht nur innerhalb Europas zu retten, sondern auch noch auf andere Kontinente mitzunehmen, sei ihr jedenfalls nicht bekannt.
Wo Mann war, war auch sein Schreibtisch
So gewinnt auch der legendäre Satz des Nobelpreisträgers über sein Exil - "Wo ich bin ist Deutschland" - seine ganz eigene Bedeutung. Er meinte seine Heimat in der Kultur und die Sprache seines Landes, und wo Thomas Mann war, da war auch sein Schreibtisch. Sobald der Schreibtisch nachgereist ist, scheint für den Schriftsteller auch "die Kontinuität der Existenz gesichert", wie Jens betont. Gleichzeitig werde der Schreibtisch aber auch zum "Symbol beharrlich-tapferer Ausdauer", wie das von Mann auch im Exil beharrlich weiterverfolgte Projekt des Joseph-Romans ein "Monument der Beharrlichkeit" wurde.
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Aber der Schreibtisch war auch Schatzkammer und Tresor während der unruhigen Wanderjahre für seine Tagebücher und Manuskriptentwürfe. Zu diesen Geheimfächern hatte nur der Autor einen Schlüssel. Dennoch hat Mann 1944 und 1945 einen Teil der Dokumente leider verbrannt. Trotz aller Turbulenzen finden Leben und Arbeit Thomas Manns immer wieder ihr Kraftzentrum, ihre alte Mitte: den Schreibtisch. Noch während die Spediteure die letzten Kisten für den bevorstehenden nächsten Umzug zunageln, schreibt Mann an seinem "Joseph"-Roman weiter. Wichtig ist nur die Ordnung - der Butler in den USA staubt ab, "und ich habe ihn auf Englisch gebeten, nichts durcheinanderzubringen". Denn kaum wurden ein paar Schubladen verwechselt, herrscht "Verwirrung", wie Mann sichtlich irritiert notiert.
Das Möbelstück wird zum Sinnbild verlorener Schaffenskraft
In Amerika wird der Schreibtisch auch zum Kampfplatz gegen das Hitler-Regime und Nazi-Deutschland (wie die BBC-Ansprachen an "Deutsche Hörer!"). Nach einer Operation 1946 verlässt Thomas Mann den Schreibtisch und wird fortan meist in einer Sofaecke arbeiten. Zum Schluss ist der Schreibtisch wieder in Zürich, aber nun ist er nicht mehr der Ort "gelingender Hervorbringungen, sondern Sinnbild verlorener Schaffenskraft", wie Jens betont. Der 86-jährigen Autorin, langjährige und vielgelobte Herausgeberin eines großen Teils der Thomas-Mann-Tagebücher, die mit ihrem in diesem Jahr gestorbenen Mann Walter Jens auch den Bestseller "Frau Thomas Mann" geschrieben hat, ist mit diesem kleinen Buch noch einmal eine Chronik der Emigration Thomas Manns gelungen, in gestraffter Form sozusagen.
Das Buch ist damit eine gewinnbringende und ganz nebenbei auch kulturgeschichtlich bedeutende Lektüre für alle jene, die bisher vor den eher dickleibigen Thomas-Mann-Biografien zurückgeschreckt sind. Ganz nebenbei gelingen Inge Jens auch eine kleine Werkbetrachtungen und -analysen sowie genaue Streiflichter zur Persönlichkeit des Literaturnobelpreisträgers - inklusive seiner Selbstbeobachtungen: "Ich habe mich nie für groß gehalten, aber ich liebe es, mit der Größe zu spielen und auf einem gewissen Vertraulichkeitsfuß mit ihr zu leben."