Essen. . 200 Ruhr-Experten – Historiker, Kultur- und Medienfachleute – tagen auf der Zeche Zollverein, um herauszufinden, wo die Orte der Erinnerung für das Ruhrgebiet liegen könnten, an denen sich die Identität der Region festmacht. „Bloß kein Förderturm-Sammelverein werden...“

Erinnerungsorte sind eine Erfindung des französischen Historikers Pierre Nora. Sie haben es in den letzten dreißig Jahren zu großer Beliebtheit gebracht. Sicher auch, weil diese Orte, an denen sich die Identität einer Nation, Region oder Stadt festmachen lässt, nicht nur mehr oder minder lokalen Patriotismus jeder Art erlauben, sondern auch für eine touristische Vermarktung zu haben sind.

Kein „Förderturm-Sammelverein“

Unter den „Deutschen Erinnerungsorten“, die die Berliner Historiker Étienne François und Hagen Schulze ab 2001 in drei dicken Büchern vorstellten, war zwar der Wiener Heldenplatz, der Karneval und das deutsche Pfarrhaus, aber kein einziger Ruhrgebiets-Ort. Und so zerbrechen sich in diesen Tagen 200 Historiker, Kultur- und andere Experten auf der Essener Zeche Zollverein die Köpfe darüber, was denn „Erinnerungsorte Ruhr“ sein könnten.

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Wer dahinter die Absicht befürchtet, immer größere Teile des Ruhrgebiets zum Museum zu erklären, hat höchstens halb recht. Noch mehr Erinnerungsorte? „Nein, es geht auch darum, die schon bestehenden Erinnerungsorte zu bewerten, einzuordnen“, stellt Ulrich Borsdorf klar, der Gründungsdirektor des Ruhrmuseums, das ja schon selbst ein Erinnerungsort erster Güte sein dürfte, weil es Ruhrgebietsgeschichte an dem markanten Ort der einstigen Kohlenwäsche auf dem heutigen Weltkulturerbe-Gelände zeigt. Der andere Pol der Diskussion: „Wir müssen aufpassen“, zitierte Karola Geiß-Netthövel als Chefin des Regionalverbands Ruhr (der die Tagung veranstaltet) ein „flapsiges“ Wort, „dass wir nicht zum Förderturm-Sammelverein werden.“

Idee kam aus der konservativen Fraktion im Regionalverband Ruhr

Mit den Fragen zu Erinnerungsorten möchte man deshalb die „breite, von unten kommende Geschichtskultur des Ruhrgebiets“, die Stefan Berger vom Bochumer Haus der Ruhrgebietskultur an der Region so schätzt, zu einer breiten Debatte animieren.

Vorläufig aber flirren über den Historikerköpfen Worte wie „fluides Geschichtsbewusstsein“ und „Palimpsest“ durch die Zollverein-Halle A2. Angestoßen wurde die Erinnerungsort-Bewegung übrigens von der konservativen Fraktion im Regionalverband Ruhr, die argwöhnt, das Herausstellen der Industriekultur sei vor allem ein sozialdemokratisches Geschichtsprojekt, und nun gern einmal die bürgerliche Seite der Ruhrgebietsgeschichte stärker repräsentiert sehen würde.

Einigkeit herrschte bei der Tagung allerdings darüber, dass es nicht um Erinnerungsorte (zu denen auch Personen, geflügelte Worte und Lieder oder auch Firmen zählen können) im Ruhrgebiet gehen sollte, sondern um solche, die f ür das gesamte Ruhrgebiet und seine Identität stehen. Es könnte also durchaus sein, dass es am Ende doch wieder auf Krupp und Kohlen hinausläuft.