Oberhausen. . Uraufführung am Theater Oberhausen: Florian Illies’ Buchcollage „1913“ dient als Vorlage für ein ironisches Spiel mit Oberflächenreizen. Ein besonderer Clou bei dem Stück: Die Schauspieler kommentieren ihre Rollen während des Spielens mit einem ironischen Unterton.
Das Theater hat sich noch nie gescheut, die Popularität anderer Medien für den eigenen Spielbetrieb auszubeuten. Statt sich um die komplexe neuere Dramatik zu kümmern, die vielleicht nicht gerade zum Publikumsrenner taugt, bedient man sich gern bei der Belletristik oder, lieber noch, bei populären Filmen.
Nun kommen offenbar auch noch die Sachbücher an die Reihe, wenn sie sich denn als Bestseller erwiesen haben. Am Theater Oberhausen hat man jetzt versucht, die kulturgeschichtliche Collage „1913“ von Florian Illies in eine Art Revue zu verwandeln. Immerhin steht das Buch ein knappes Jahr nach Erscheinen schon vor seiner 11. Auflage und kann bereits 17 Übersetzungen vorweisen.
Den „Urknall der Moderne“ nennt der Autor dieses eine Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Und will damit beweisen, dass Kunst und Kultur nicht erst durch die Erfahrung des Krieges provoziert wurden, sondern dass zuvor alles schon vorhanden war. Kaleidoskopisch und leicht lesbar, fährt er so ziemlich die komplette Prominenz jener Tage samt ihrer Verbandelungen auf.
Das ist ein endloses „Name Dropping“, wobei nicht so sehr die Errungenschaften von Schriftstellern, Denkern, Ärzten oder Komponisten im Mittelpunkt stehen, sondern zuvorderst ihre Affären, Obsessionen und Neigungen. Ein Geruch nach Boulevard hängt in den Seiten.
Ein Panoptikum der Charaktere
In der Bühnenbearbeitung des Rumänen Vlad Masacci muss das alles noch einmal ausgedünnt werden, werden viele Figuren einfach eliminiert, kommen andere nur noch am Rande vor. Zwölf Schauspieler und ein Pianist stemmen dieses Panoptikum der Charaktere mit viel Klavierspiel und gelegentlichem Gesang. Einer macht den Conférencier, der Einstiegshilfe gibt in diverse Beziehungen und Randnotizen liefert.
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Erst allmählich schälen sich aus diesem rast- und ruhelosen Bühnengeschehen ein paar Handlungsstränge heraus, die mit Unterbrechungen beständig fortgesetzt werden. Das Verhältnis des Malers Oskar Kokoschka mit der Femme fatale Alma Mahler beispielsweise, bei dem hier vor allem die maßlose Eifersucht und der rege Sexualtrieb Kokoschkas akzentuiert werden. Der verrückten Liebe zwischen Gottfried Benn und Else Lasker-Schüler wird breiter Raum eingeräumt, ebenso dem andauernde Zwist zwischen Thomas Mann und dem Kritiker Alfred Kerr.
Der Zuschauer erlebt Schauspieler, die sowohl Charaktere darstellen müssen, als auch gleichzeitig in der dritten Person Kommentare zu dieser Person sprechen. Das geschieht zumeist mit einem auf Dauer dann doch störenden ironischen Unterton, der auch schon im Buch von Florian Illies zu spüren ist.
Bei Franz Kafka (Sergej Lubic) ist eine solche Unterscheidung gar nicht mehr möglich, denn der wird in seiner Entscheidungsunfähigkeit der großen Liebe Felice Bauer gegenüber gleich zur Lachnummer degradiert. Den Schauspielern ist diese Haltung kaum anzukreiden, die spielen derart mit Saft und Kraft, dass man gelegentlich sogar vergisst, wie hier allein mit dem Oberflächenreiz gespielt wird.
Das Jahr vor dem Chaos
Niemand spricht in diesem Jahr 1913 ernsthaft von der Möglichkeit eines Krieges. Auch nicht der kleine Architekturmaler Adolf Hitler, der im Park von Schloss Schönbrunn vielleicht Lenin begegnet ist, der hier Zukunftspläne schmiedete. Nun ja, C. G. Jung, Begründer der Analytischen Psychologie, klagt über apokalyptische Träume, aber die deutet selbst er nicht als Vision einer grausamen Zukunft. Vielleicht hat deshalb Manuela Freigang auf ihrer ansonsten fast leeren Bühne einen chaotischen Berg aus verschiedenen Stühlen gesetzt. Ein Zeichen, wenigstens das, für das herannahende Chaos.