Oberhausen..
Eine großartige Choreografie, ein beeindruckendes Bühnenbild aus 365 Stühlen, geschickt eingesetzte Licht- und Toneffekte, ein im Zusammenspiel seiner Fähigkeiten und Talente gut aufgestelltes Ensemble, wohlklingende musikalische Zwischenspiele und ein souveräner Erzähler: Das sind die Zutaten, die Regisseur Vlad Massaci nutzt, um die Chronik des Jahres 1913 in Szene zu setzen, als Theater-Uraufführung von Florian Illies’ gleichnamigem Bestseller. Am Freitagabend eröffnete sein Werk die neue Spielzeit. Das Premierenpublikum war angenehm überrascht. „Mal was anderes!“
Ein Wagnis war es schon, denn die Buch-Vorlage erzählt keine zusammenhängende Geschichte, sondern enthält, nach Monaten geordnet in der Art eines Jahresrückblicks, Episoden und Anekdoten aus dem Leben derer, die die Künstlerszene prägten, die vor exakt 100 Jahren vorwiegend die Avantgarde in Paris, Berlin und Wien bewegte, wie Hartmut Stanke, der als Erzähler durchs Geschehen führt, gleich zu Beginn der Aufführung erklärt. „Kaum einer ahnte, dass sich ein Jahr später die Katastrophe ereignen würde.“ Der I. Weltkrieg.
Eine Vielzahl von Personen
Es beginnt mit dem Januar, das gespannte Publikum wird in diesem ersten Monat des Vorkriegsjahres schon mal mit verschiedenen Persönlichkeiten konfrontiert, die es im Verlauf der Aufführung näher kennen lernen wird: Thomas Mann (Henry Meyer), Dr. Franz Kafka (Sergej Lubic), Manns Feind und Kritiker Alfred Kerr (Michael Witte), Else Lasker-Schüler (Anja Schweitzer), Adolf Hitler (Klaus Zwick), Gertrude Stein (Anna Polke), C. G. Jung (Michael Witte). Wir ahnen, dass es anstrengend werden könnte, bei der Vielzahl der Personen den Überblick zu behalten.
Doch die Angst ist unberechtigt, dank eines Tricks: Nicht nur Erzähler Stanke bringt Ordnung ins Geschehen, auch die Darsteller helfen beim Aufräumen mit: Sie spielen nicht nur die Charaktere, sondern stellen sie gleichzeitig vor oder erzählen Episoden, die auch schon mal von der Kunstszene ablenken, Motto: Was sonst noch geschah.
Im Rausch verschwunden
Bis zur Pause im zweieinhalbstündigen Stück haben wir erst den März erreicht. Doch wir haben uns an die Inszenierung gewöhnt, und so schreiten wir schneller fort im zweiten Teil des Spektakels. Erleben Rainer Maria Rilkes Leiden (Martin Müller-Reisinger), Oskar Kokoschkas verzweifelte Versuche, Alma Mahler zu heiraten (wunderbar: Moritz Peschke und Lisa Wolle).
Am Ende lässt Vlad Massaci alles im Rausch wieder verschwinden. Der Schluss ist wortgetreu: 1913 wird nicht nur gemalt, komponiert, philosophiert, die Seele erforscht, geliebt, gelebt und gedichtet, sondern auch die Droge Ecstasy wird erstmals synthetisiert, gerät dann aber für einige Jahrzehnte in Vergessenheit.