New York. . Moderne amerikanische Kunst, die sich lesen lässt wie ein Geschichtsbuch: So verstehen die Macherinnen die jüngste Ausstellung im „Museum of Modern Art“ New York. Die Schau ist spannend, die Bandbreite groß.

Als die Industrie zur zweiten Natur Amerikas wurde, war Charles Sheeler hellwach zur Stelle. 1927 erhielt der Fotograf, Filmema­cher und Maler den Auftrag, die nagelneue River Rouge Fabrik von Auto-Zar Henry Ford nahe Detroit zu dokumentieren.

Ungestüme Wirtschaftskraft, werdende Supermacht

Das nach Fotos entstandene Öl-Bild „American Landscape“ ist in seiner Doppelbödigkeit bis heute unerreicht. Es zeigt die ganze ungestüme Wirtschaftskraft in Cinemascope. Allein der Mensch, ohne den alle Räder still stehen, bleibt unsichtbar. Sheelers stilles Zeugnis vom Aufstieg einer werdenden Supermacht hat in einer jetzt im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) eröffneten Schau nicht ohne Grund ei­nen hervorgehobenen Platz.

Die Kuratorinnen Kathy Curry und Esther Adler wollen, wie sie vor Journalisten sagten, anhand von 150 teils bekannten, teils raren Exponaten „moderne amerikanische Kunst gewissermaßen als Geschichtsbuch zwischen Industriezeitalter und Landleben zeigen“. Der Titel „American Modern: Hopper to O‘Keeffe“.

Wer die Ausstellungssäle betritt, trifft zunächst auf, nun ja, Alfred Hitchcock. Das „Haus an der Eisenbahn“, gemalt 1925 vom Ästheten der Einsamkeit, Edward Hopper, diente dem Regisseur als Vorlage für die Schlüsselszenerie in „Psycho“. Das Kunstwerk war das erste Gemälde, das das Museum of Modern Art vor über 80 Jahren kaufte, um einen Grundstock zu legen. Es ist das Bindeglied einer sehenswerten Ausstellung, die verknüpft, was Künstler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika gesehen und erlebt haben: bröckelndes Leben im Amerika der Felder und Wälder, den Zug der Massen in die Städte und die Überwältigung des Menschen durch die Technik.

Krüppel vor ungewisser Zukunft

Andrew Wyeths Klassiker „Christina‘s World“ zeigt eine junge Frau auf einer ockerfarbenen Wiese in Maine. Sie schaut zu einem etwas heruntergekommenen neuenglischen Holzhaus hinauf. Die stille Idylle hat Risse. Wer genau hinsieht, erkennt den Krüppel. Unfähig, sich der ungewissen Zukunft anzuschließen. Der Niedergang des Amerikas der Gründerväter. Und der Beginn des Maschinenzeitalters.

Kaum jemand hat die Technisierung des Alltags in den Städten präziser erfasst als der Architekturfotograf Alfred Stieglitz. Im MoMA glänzt der Ehemann der großen Georgia O‘Keeffe zur Abwechselung mit Fotografien von den Händen seiner Frau. Die wiederum ist mit Zeichnungen vertreten.

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Von geradezu plakativer Körperlichkeit sind dagegen die eindrucksvollen Hartfaserplatten, die Jacob Lawrence 1941 für seine Serie „The Migration of the American Negro“ benutzt hat. Lawrence zeigt den Exodus der Schwarzen aus dem verarmten Süden in den industrialisierten Norden, wo die Sklaven von gestern in den erbärmlichen Arbeitsverliesen der 20er Jahre endeten. Der Künstler war der erste Schwarze, den der von Weißen dominierten Kunstbetrieb als ebenbürtig behandelte.

Die Kunst des Andy Warhol war schon vorgezeichnet

Dass Andy Warhol nicht aus dem Nichts kam, bewies Stuart Davis bereits im Jahr 1924. Seine anziehende Odol-Flasche vor einer grün-weiß gekachelten Badezimmerwand war Pop-Art für Anfänger, Kunstsammlern aber bereits in den 90er Jahren 2,4 Millionen Dollar wert. Preisklassen, die Edward Hopper früh hinter sich gelassen hat. Seine „Night Windows“ von 1928, die im Vorübergehen bis dahin unbekannte Einblicke in das Leben einsamer Großstadtmenschen gewähren, sind allein das Eintrittsgeld wert.

„American Modern“ im MoMA, bis 26. Januar 2014.