Essen. . Essens Schauspiel schaut der eigenen Stadt dokumentarisch unter die Gürtellinie. Doch die Uraufführung von „Pornoladen“ macht aus dem Grillo-Theater längst noch kein „Sauspiel“, wie vorab empörte Bürger vermuteten. Der Abend verläuft eher soziologisch denn sexuell stimulierend.

Zur Begrüßung gibt es Sekt und Schmuddelheftchen, Schauspieler räkeln sich kunstvoll an der Pole-Stange und aufs Publikum wartet die Grundsatzfrage: „Wer war denn schon mal bei einer Prostituierten?“ Drei Finger gehen hoch. Das Schauspiel Essen hat sich mit dem Bürgerprojekt „Pornoladen – aus dem Unterleib der Stadt“ seinen eigenen Reim auf „Feuchtgebiet“-Erfolge und Sex-Debatten gemacht und Erotikarbeiter aus dem Revier auf die Bühne geholt.

Prostituierte, Stricher, Pornodarsteller erzählen aus ihrem Arbeitsleben. Sexbeichten statt Shakespeare-Verse – diese Aussicht ließ manchen um Kunst und Moral besorgten Bürger schon im Vorfeld ans „Sauspiel Essen“ schreiben. Doch der rotlichtfreie Abend gibt wenig Anlass zur öffentlichen Erregung.

Soziologisch sicher spannend - sexuell weniger

Dramaturg Marc-Oliver Krampe, seit seinem letzten Fußball-Projekt „Balls“ der Mann fürs Allzumenschliche am Schauspiel Essen, hat seine zehn Erotik-Experten interviewt und zu mutigen, stolzen und souveränen Darstellern ihrer eigenen Lebensgeschichte gemacht. Da ist Doro von der Frauenberatungsstelle „NachtFalter“, die sich auf dem Essener Straßenstrich am meisten über die Freier mit Kindersitz im Auto ärgert.

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Da ist Michael, der von Porno-Queen Teresa Orlowski auf eine harte Darstellerprobe gestellt wurde, bevor er sich für den Journalismus entschieden hat. Wirtschaftsjurist Tobias hat mal im Sexshop gejobbt und weiß seitdem viel über männliches Erotikspielzeug. Und Sexualbegleiterin Catharina, ehemalige Steuerfachangestellte, findet, dass Berührung und Intimität ein Menschenrecht ist, auch für Alte, Kranke und Behinderte, die sie am Pflegebett besucht. Vieles an diesem Abend klingt soziologisch weit spannender als sexuell.

Der Abend will Klischees aufweichen

Denn so lebens- und gefühlsecht, so offensiv und authentisch dieses geschickt inszenierte, behutsam choreographierte und mit Musik (Samirah Al-Amrie) untermalte Bürgertheater auch rüberkommt, so stark lässt es sich doch vom engen Korsett seiner Botschaft einschnüren: „Wir sind keine Opfer!“ Dieser Ausdruck von Normalität und Selbstbestimmtheit wird so sehr betont, dass man sich irgendwann doch fragt, wie es denn um den Zwang und die Zwangslagen in diesem Gewerbe steht.

Aber der Abend will eben Klischees knacken: Wenn die Schauspieler Johann David Talinski und Lisa Jops dabei in ihrer heiteren, historischen Einführung zur Geschichte der Prostitution Schauspieler und Huren als einst gleichermaßen verruchte Gesellen gleich stellen und so die gesellschaftliche Gleichstellung fordern, ist das unterhaltsam und ehrenwert.

Das Spannendste aber bleiben die leisen Zwischentöne in all diesen großen Lebensbeichten: Die Sturheit und der Trotz, mit der Alt-Hure Fraences seit 30 Jahren ihren Kampf um Normalität und Anerkennung führt. Der demonstrative Optimismus von Christian, den es vom Leben auf der Straße als männlicher Escort doch noch in die Beamtenstube führen soll.

Nicht alles, was man schon immer über käuflichen Sex wissen wollte und nie zu fragen wagte, wird an diesem Abend beantwortet. Info-Broschüren und Spendendosen liegen im Foyer bereit. Die Sexheftchen werden wieder eingesammelt.

  • Karten/Termine: Tel. 0201-8122-200