Essen. Erst musste er nur noch kurz die Welt retten - jetzt wettert Tim Bendzko gegen den Winter. Das zweite Album „Am seidenen Faden“ schreibt sein Debüt fort, schafft es aber nicht, sich vom Vorbild Xavier Naidoo zu lösen. Dabei ist er der angenehmere Sänger, weil er nicht so oft ins Schwülstige abgleitet.
Xavier Naidoo ist ja schon seit Jahren allgegenwärtig in der deutschen Poplandschaft. Doch dass er mit Tim Bendzko einen weiteren Star nach oben schießen konnte, bei dem sich die Experten nur streiten, ob er musikgenetisch betrachtet Sohn oder Klon des Naidoo ist, das ist ein wahnwitziges Meisterstück.
Nun nutzte Bendzko seine Jugend, um mit „Nur noch kurz die Welt retten“ eine zeitgeistig-gefühlige Hymne für die Generation X-Box zu singen, bei der zwischen Mails-Checken und Weltretten nur ein Klick liegt. Das hatte seinen Reiz, weil es die Misere vieler Jugendlicher aufgriff, ohne zu urteilen.
Auf dem nun erscheinenden Album „Am seidenen Faden“ wird deutlich, dass man a) nicht ständig über die digitale Isolation der Altersgenossen singen, dass man es b) aber mal probieren kann. Mit „Programmiert“ beschwört Bendzko eine digitale Einsamkeit, die vielen jungen Fans fremd sein dürfte – und melodisch nicht an den ersten Hit anknüpfen kann.
Süß verkleistert
Dennoch ist Bendzko eine angenehmere Ausgabe von Naidoo, weil er zwar das gleiche sprachliche und musikalische Instrumentarium nutzt, dies aber einen Hauch feinsinniger, weniger schwülstig und mit weniger Willen zur Weltverbesserung tut.
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Mit der Single „Am seidenen Faden“ erschafft er mit der Zeile „Ich will keine Winter mehr“ ein schön melancholisches Gemeinschaftsgefühl. Und in den HipHop-Bässen von „Die Geier kreisen schon“ flammt sogar so etwas wie jugendliche Aggression auf. Aber dies bleibt ein winziger Ausreißer auf einem süß verkleisterten Album.
- Tim Bendzko live: 29.6. Bocholt, 6.2.14 Köln, 7.2. Münster, 25.2. Oberhausen. Karten im Leserladen, Tel. 0201/804 6060 und