Essen. Spannend genug, wenn Verbrechen in eine Zeit fallen, die selbst verbrecherisch im großen Stil ist. Krimis über der Nazi-Zeit erzählen davon. Auch in die turbulente Weimarer Republik verpflanzen Autoren ihre Ermittler. Zwei Beispiele sind Volker Kutschers “Die Akte Vaterland“ und Robert Hültners “Am Ende des Tages“.
Historische Romane und Krimis, dachte man immer, sind zwei Paar Stiefel. Aber wenn in der Mode der Muster-Mix regiert, muss das auch bei Lesestoffen möglich sein. Natürlich gab es immer schon Mordgeschichten, die im alten Rom, im Mittelalter oder in den Gründerjahren des Ruhrgebiets spielten. Aber doppelt „spannend“ wird es für meinen Geschmack erst da, wo der Kriminalroman die Zeitgeschichte anzapft, also eine Vergangenheit, die uns auch heute noch betrifft, und sei es über zwei oder drei Generationen hinweg.
Das größere Verbrechen hinter ihrem Rücken
Dies ist für uns Deutsche, keine Frage, vor allem die Nazizeit mit Vor- und Nachgeschichte – auch weil sich da die Frage stellt, ob die kriminalistischen Wahrheitssucher über ihren Fall hinaus auch einen Blick für das viel größere Verbrechen haben, das sich hinter ihrem Rücken anbahnt.
Fachmann am Werk
Das darf man auch bei zwei äußerst lesenswerten Autoren fragen, die sich mit je einer Romanserie den Jahren kurz vor 1933 zugewendet haben. Die sind ja auch deshalb spannend, weil sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik ein aufregendes kulturelles Leben mit dem aufgeregten Machtkampf im Reichstag und auf den Straßen vermischt und überkreuzt hat.
Volker Kutscher hat bislang vier dickleibige Schmöker auf den Markt gebracht und ist gerade erst bis 1932 gekommen. Sein junger Kripo-Inspektor Gereon Rath stammt aus Köln, wo ein gewisser Adenauer Oberbürgermeister ist, muss oder darf in "Die Akte Vaterland" aber in Berlin Dienst schieben, wo ihm die Eingewöhnung im allgemeinen und die Eroberung des emanzipierten Fräulein Ritter im besonderen nicht leichtfallen.
Genau recherchiert
Kutschers Stärke sind die historischen Details, die genau recherchiert und eingeordnet werden: Da ist ein Fachmann am Werk! Reizvoll auch, dass von Band zu Band andere Sektoren des sozialen Lebens im Mittelpunkt stehen: mal die Filmindustrie, mal das organisierte Verbrechen, nun der Amüsierbetrieb. Aber zuletzt wird Rath sogar in die ostpreußischen Sümpfe geschickt und muss sich ganz ungewohnter Gefahren erwehren. Hin und wieder erlaubt sich Kutscher auch ein aktuelles Späßchen: Wie sonst könnte der Kripokollege in Dortmund, den Rath um Hilfe bittet, ausgerechnet – Watzke heißen?
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Mit Paul Kajetan, dem gesetzteren und nicht ganz so lebenslustigen Kollegen, den Robert Hültner geschaffen hat, geht es nun nach Süden, soweit die Reichsgrenze es erlaubt – „Am Ende des Tages“. In München, bekanntlich eine Hochburg der NSDAP, war er den aufstrebenden braunen Kräften ins Gehege gekommen und musste sich für einige Zeit im Hochgebirge verbergen. Nun ist er zurück, um seinen letzten Kampf zu bestehen, von leichter Melancholie und einem Hauch von Vergeblichkeit umweht. Ob wir ihn nach diesem sechsten Band nochmals wiedersehen werden? Der Verlag sagt „nein!“ – aber wir erinnern uns auch an James Bond: „Du lebst nur zweimal“ …
Effektvoller Einsatz von Dialekt
Hültners Stärke ist der Dialog, auch der dosierte und eben darum effektvolle Einsatz von Dialekt und Umgangssprache. Man hört da den versierten Hörspiel- und Drehbuchautor heraus, dem nicht weniger gelingt als eine Ehrenrettung des Bayrischen – was angesichts der Welle von Knödel-und-Gaudi-Krimis, die uns seit einiger Zeit überrollt, auch dringend nötig war.