Essen. Mancher nahm ihr übel, dass sie auch mit Entertainern auftrat oder Video-Clips wie „Barcelona“ drehte. Am Denkmal Montserrat Caballé hat das aber nicht kratzen können. Am 12. April feiert die Belcanto-Königin mit der legendären Piano-Kultur ihren 80. Geburtstag.

Montserrat Caballé war der erste Opernstar, den ich treffen durfte. Man vergisst das ja nie: auf dem Küchentisch morgens das einzige weiße Hemd gebügelt, das Diktaphon im Zug liegengelassen. Und plötzlich saß ich vor ihr: Vier-Augen-Gespräch mit einem Sopran von Welt. 21 Jahre ist das her.

Das mit den vier Augen stimmt nicht ganz. Es hockte stoisch und mit einem riesigen schwarzen Aktenkoffer ein Mädchen von etwa 25 im Hintergrund: ihr Blick war vorwurfsvoll, der Mund schmal. „Eine Verwandte“, sagt Montserrat Caballé. Es klang fast entschuldigend.

Sie begann in Basel und Bremen

Ich fragte mich, ob der schwarze Koffer voller Geld war und dachte: Aus dem Süden zu kommen, heißt, sich auf die Familie zu verlassen. Senora Caballé hielt es immer so, ließ die Familie mitreisen (ihr Mann ist Tenor im Ruhestand), ob sie nun „Traviata“ in Paris sang oder „Trovatore“ in Londons Covent Garden. Alles erste Adressen, jahrzehntelang ihre. Da war die sängerische „Ochsentour“ schon ein abgeschlossenes Kapitel. Sie spricht immer noch gern davon, wie sie als Anfängerin in Bremen und Basel den Spielplan rauf und runter sang, heute Mozart, morgen Wagner.

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„Man lernte viel“, sagte sie, ihr hübsch klingendes Deutsch nebenbei auch. Selbst die Masse kam in den Genuss, es zu hören. Denn Montserrat Caballé saß später auch bei „Wetten dass“ auf dem Sofa, um sich über eine Lokomotiven-Wette auszuschütten vor Lachen.

Das waren (wie der Auftritt bei der Landesgartenschau in Jülich) nicht eben standesgemäße Adressen. Sprach man sie darauf an, lachte sie. „Puristen gibt es immer“, sagte sie zu mir und erzählte von den Folgen ihrer anderen Popularität: „Da standen an der Wiener Staatsoper ganz junge Menschen am Bühneneingang. Die wollten ein Autogramm, Sie haben nur gesagt: Sie sind doch die Frau, die mit Freddy Mercury aufgetreten ist.“

Selbst Karajan schaffte es nicht, sie zur Diät zu zwingen

Aber natürlich wäre es eine einzige Ungerechtigkeit, Crossover-Späße wie „Barcelona“ zu Montserrats Maß zu machen. Wer ihr zum heutigen 80. Geburtstag gratuliert, verneigt sich vor eine der großen Sängerinnen des 20. Jahrhunderts. Rossini und Donizetti, Verdi und Puccini hat man ihre Hausgötter genannt.

Aber das Repertoire der kleinen Frau, die nicht einmal ein Drohbrief Karajans zur Hungerkur veranlassen konnte („Der Vertrag wurde aufgehoben“), war viel größer. Selbst Wagner traute sie sich zu (es gibt einen todesmutigen Brünnhildengesang von ihr). Sie sang eine legendär feingliedrig-gefährliche „Salome“ und war immer wieder Anwältin der Zarzuelas und Romanzen ihrer katalanischen Heimat.

Töne vollkommener Schwerelosigkeit

Gleich was sie sang, die Gänsehaut-Momente bescherte stets ihr unfassbares Piano. Es waren Töne vollkommener Schwerelosigkeit, entmaterialisiert gleichsam. Ihre vielleicht schönste Rolle: Elisabeth in Verdis „Don Carlo“. Unter Carlo Maria Giulinis Dirigat gelang ihr das zutiefst anrührende Porträt einer Nachtigall im goldenen Käfig.

Maria Callas nannte Caballés Kunst „eine sanfte Brise auf der Haut“. Wer ihr, darüber staunend, Komplimente machte, erhielte Erklärungen der Bescheidenheit. „Meine Lehrer“, sagte sie. „Die Technik“. Und mitunter führte sie sogar Gymnastik an. Gut unterrichteten Kreisen zufolge, pflegt sie die stimmlockernde Bodenübung bis heute.

Mit dem Alter kamen vokale Einbußen

Wer Sie in den letzten Jahren hörte, nahm dem Alter geschuldete vokale Einbußen in Kauf. Aber sich von ihr endgültig zu verabschieden, wäre für Fans kaum weniger schmerzvoll. In zwei Wochen steht sie in Düsseldorfs Tonhalle wieder auf der Bühne. Man fragt ja nicht, ob solche Auftritte auch dem Unterhalt der Familie gelten. Durchblicken ließ Montserrat Caballé schon damals unter Lachen, dass man Geld auch als Sopran immer gut gebrauchen kann: „Ich reich? Ich bin doch kein Tenor!“