Essen. Der legendäre Kinderbuch-Autor Otfried Preußler, von dem „Der kleine Wassermann“, „Die kleine Hexe“, „Der Räuber Hotzenplotz“, der „Kater Mikesch“ und der große Jugendroman „Krabat“ stammen, ist tot. Seine Bücher, von denen über 50 Millionen gedruckt wurden, gehören niemandem so sehr wie den Kindern.
Nein, was da in den letzten Wochen und Monaten an Diskussionen über seine „Kleine Hexe“ losgebrandet ist, das hatte Otfried Preußler nicht verdient. Man muss umso froher darüber sein, dass er selbst davon nicht mehr allzuviel mitbekommen haben dürfte – da war das hohe Alter von fast 90 Jahren schon fast eine Gnade. Über die umstrittenen Wort-Ersetzungen in seiner „Kleinen Hexe“, von „Neger“ bis „Schuhwichse“ befand an seiner Stelle bereits die Familie.
Preußlers Bücher aber, von denen weltweit über 50 Millionen gedruckt wurden, übersetzt in 55 Sprachen, gehören niemandem so sehr wie den Kindern: Sein „Räuber Hotzenplotz“, sein „Kleiner Wassermann“, das sind nicht nur Klassiker im herkömmlichen Sinne des Wortes – sie sind längst in den Rang von Grimms Märchen, von Mythen und Sagen gelangt, von denen man denkt, dass sie eigentlich immer schon da waren, immer da sein werden und zum ewigen Wissens- und Bilderschatz eines Volkes, eines Sprachraums gehören.
Auf 40 Kilo abgemagert
Einen solchen Schatz hat der 1923 geborene Otfried Preußler in seiner eigenen Kindheit im böhmischen Reichenberg frei Haus geliefert bekommen, seine Großmutter Dora sprudelte nur so vor Geschichten. Auch das war schon Fantasy, bevor es das Wort gab – das Fantastische daran aber war das, was Kinder jeden Tag erleben, womit sie mal um mal fertig werden müssen: Der Einbruch des Unvertrauten, des Anderen, des Fremden in den Alltag. So wie sich der „kleine Wassermann“ und die „kleine Hexe“ darin zurechtfinden und alles meistern, was sich ihnen entgegenstellt, so werden sie zu großen Vorbildern, ohne sich zu Riesen in unerreichbarer Ferne zu entwickeln.
Otfried Preußler hat bei alledem nie das Maß des Humanen gesprengt, auch wenn er derlei doch am eigenen Leibe Unmenschliches erfahren musste: 1942 wurde er als Abiturient gleich von der Schule weg in Hitlers Armee eingezogen und geriet zwei Jahre später als Offizier in sowjetische Kriegsgefangenschaft – für fünf lange Jahre, in denen er vor lauter Hunger, Typhus, Malaria und Fleckfieber auf 40 Kilogramm abmagerte.
Volksschul-Lehrer und großer Humorist
Preußler wurde Lehrer, jobbte im Studium als Lokalreporter und schrieb Kindergeschichte für den Rundfunk. Er heiratete seine Annelies, die er noch aus dem heimatlichen Reichenberg kannte und an seinem neuen Wohnort Rosenheim wiedergetroffen hatte. Als Volksschul-Lehrer musste er Klassen bändigen, in denen bis zu zehn Jahrgänge und über 50 Schüler unterrichtet werden sollten – und auch hier erwiesen sich Preußlers Geschichten, die er schon an seinen drei Töchtern erprobt hatte, als probates Mittel zur Behebung von Aufmerksamkeits-Defiziten.
Als Preußler endlich einmal dem Drängen seiner Töchter nachgegeben und auch den „Kleinen Wassermann“ aufgeschrieben hatte, wurde 1956 gleich ein großer Erfolg daraus. Und schon den „Kleinen Wassermann“ lässt Preußler in jenen bunten Farben schillern, die er mit nichts als Worten heraufbeschwört. In der fremden Welt unter Wasser gilt eben doch das Maß und die Moral des Menschlichen, so wie später der Kater Mikesch einer gesamten Tierpopulation das Sprechen beibringt und damit die Zivilisation, in der es auch Versprechen gibt. Immer aber hatte Preußlers Bücher die wunderbare Eigenart, die Fantasie von Kindern nicht in Beschlag zu nehmen, sondern ihr Futter zu geben, zum Ausmalen, zum Vorstellen, zum Ausdenken.
Mutmach-Geschichte von großem Format
Die „Kleine Hexe“ und erst recht der „Räuber Hotzenplotz“ bringen dann auch den anarchischen, frechen, ebenfalls zutiefst menschlichen Humor Otfried Preußlers zum Vorschein. Sie gehören genau wie „Das kleine Gespenst“ bis auf den heutigen Tag zur Grundausstattung von Kinderzimmern. Sein Meisterwerk aber schuf Otfried Preußler mit dem 1971 erschienenen Jugendroman „Krabat“, zu dem er zehn Jahre zuvor schon einmal angesetzt hatte (mit einem überaus fruchtbaren Scheitern übrigens, denn aus Trotz nahm er sich vor, etwas Heiteres zu schreiben, womit der Hotzenplotz geboren war). Im historisch-phantastischen Gewand ist hier dramatisch ausgemalt, was Solidarität und Liebe noch in der finstersten Welt vermögen, eine Mutmach-Geschichte von großem Format, wie sie viel zu selten geworden ist.
Otfried Preußler, der bereits am Montag in Prien am Chiemsee im Alter von 89 Jahren gestorben ist, arbeitete auch als berühmter Kinderbuchautor weiter an seiner Schule in Stephanskirchen, noch bis 1970. Sie ist längst in „Otfried-Preußler-Schule“ umbenannt. Es wird, jetzt erst recht, wohl nicht die letzte sein. Otfried Preußler hat es, weiß der Himmel, verdient.