Essen. Die kulturelle Grundversorgung in NRW leidet unter den Sparzwängen, vielerorts kämpfen Theater und Schauspielhäuser gegen die drohende Schließung. Zwei Redaktionsmitglieder versuchen, im Rückblick die Tendenzen des Kulturjahrs 2012 zu erkennen.
Das Kulturjahr 2012 in NRW ist im Rückblick nicht auf einen einzigen Nenner zu bringen, zu vielfältig waren die Ereignisse und Entwicklungen. Aber ein paar allgemeine Tendenzen gibt es doch – unsere Redaktionsmitglieder Jens Dirksen und Lars von der Gönna versuchten, sie im Gespräch zu erkennen.
Lars von der Gönna: War kulturell eigentlich je so wenig Hoffnung? Duisburg von der ewigen Baustelle Küppersmühle über das finanziell ruinierte Lehmbruck Museum bis zur knapp erhaltenen Opernehe ein Scherbenhaufen, Bochums Kunstmuseum durch die Schließungsdiskussion Anfang des Jahres bedroht und Hagens Theater endgültig am Abgrund. Von einem ganzen Heer bedrohter kultureller Kleinversorger gar nicht zu reden.
Jens Dirksen: Oder vom Chaos in Köln, wo mit Uwe-Eric Laufenberg an der Oper und Karin Beier am Schauspiel die erfolgreichsten Intendanten der letzten Jahrzehnte die Stadt verlassen. Und nicht einmal das reiche Düsseldorf bleibt verschont, das NRW-Forum Kunst und Wirtschaft, das fantastische Ausstellungen hinbekommen hat, wird bald schließen, das Museum Kunst Palast muss sparen, und die Landesregierung will mit ihrem Haushaltsentwurf eine Million Euro bei der Kunstsammlung NRW sparen und die Revierstadt Waltrop schließt ihre Bibliothek.
100 Jahre Theater Hagen
v. d. Gönna: Gehen wir Zeiten entgegen, die nur noch Festivals feuerwerken lassen? Die binden halt nicht langfristig, und die Welt guckt einmal hin - wenn auch nur kurz.
Dirksen: „Diktatur des Eventariats“ hat ein kluger Mann das einmal genannt.
v. d. Gönna: Währenddessen bröselt die kulturelle Grundversorgung weiter.
Dirksen: Vielleicht haben die Autoren des umstrittenen Buchs vom „Kulturinfarkt“ mit ihrem Vorschlag, die Kultur-Subventionen auf die Hälfte zu kürzen, Anfang des Jahres ja gar kein provokantes Gedankenspiel getrieben, sondern die laufende Entwicklung beschrieben. Die Grundsatzfrage bleibt die, ob wir unsere Kultureinrichtungen immer weiter runtersparen, um sie zu erhalten, koste es, was es wolle – und sei es die Qualität. Wir sind doch an dem Punkt, wo die letzten Effizienzreserven aus den Kulturbetrieben längst herausgeholt sind.
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v. d. Gönna: Aber man kann ja auch nicht Schwimmbäder dichtmachen und dann die Zauberflöte ausstatten, als habe sie mit dieser Welt nichts zu tun. Es zeigen sich allerdings auch die tragischen Seiten der Maßnahmen. Dortmunds Opernhaus geht es zum Beispiel sehr schlecht. Der neue Intendant hat es mit einem anderen System versucht: Eine neue Inszenierung ist jetzt meist nur einige Monate zu sehen, dann nie wieder. Das trägt keine Früchte: Bis sich eine gute Opernaufführung herumgesprochen hat, ist sie schon wieder abgesetzt.
Dirksen: Immerhin hat da mal jemand versucht, etwas anders zu machen.
v. d. Gönna: Es gibt aber auch reichlich falschen Aktionismus. Kein Museumschef, kein Theaterleiter will wie das Kaninchen vor der Schlange wirken. Man tut also dauernd Neues, um der Politik, die am Geldhahn dreht, zu zeigen: Schaut, wie wir uns bemühen! Das ist guter Kunst kaum würdig.
Dirksen: Manchmal hat die mangelnde Finanzausstattung aber auch gute Seiten: Fast alle Museen haben sich zuletzt wieder mehr mit ihren eigenen Sammlungen beschäftigt. Und die Kooperationsbereitschaft hat auch deutlich zugenommen. Das sind Potenziale, die sonst nicht ausgeschöpft würden.
Ruhrtriennale 2012
v. d. Gönna: Bestimmt. Der Besinnung auf eigene, letztlich regionale Tugenden und Profile stehen aber seltsamerweise gut ausgestattete Festwochen gegenüber, in denen man vor lauter Orchideen das Treibhaus nicht erkennt. Warum ist die teure Ruhrtriennale eigentlich so unter Denkmalschutz, während es anderen feste ans Fell geht?
Dirksen: Die Triennale war in diesem Jahr zum ersten Mal so gewagt, so experimentell, wie sie wohl ursprünglich mal gedacht war. Hatte dadurch noch mehr den Anschein des Elitären.
v. d. Gönna: Immerhin erhöht so etwas die Anziehungskraft der Region für Künstler. Die wollen schließlich dahin, wo es nach Aufbruch aussieht und nicht nach Abbruch.
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Dirksen: Naja. Die Säle, Philharmonien und Konzerthäuser sind ja nicht gerade leer gefegt, wenn große Künstler anreisen. Überhaupt: die Auslastungszahlen unserer Kultur-Einrichtungen sind immer noch das beste Argument gegen Kürzungen.
v. d. Gönna: Noch. Wenn man aber einer Bücherei das Geld für Neuanschaffungen verwehrt, bleiben die Leser aus. Weil sie schon alle Bücher kennen, die sie interessieren.
Dirksen: Also brauchen wir unbedingt das Neue, Unbekannte. Und das wird auch 2013 umsonst nicht zu haben sein.