Essen. Regisseur Joe Wright lässt seine Hauptdarstellerin Keira Knightley als Anna Karenina in den Kulissen eines Dramas namens Liebe agieren – und das wortwörtlich: Rund die Hälfte des Films wurde eindeutig in einem Theaterbau aufgenommen. Die große Ehebruch-Geschichte von Tolstoi wird stark stilisiert.

„Die ganze Welt ist Bühne / Und alle Fraun und Männer bloße Spieler“, heißt es in Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“. Der britische Regisseur Joe Wright („Stolz und Vorurteil“) hat sich diesen Blick auf die Realität bei seiner Filmadaption von Leo Tolstois Roman „Anna Karenina“ sehr zu Herzen genommen: Etwa die Hälfte des Films besteht aus Szenen, die sehr eindeutig in einem Theaterbau aufgenommen wurden. Da kann es dann passieren, dass wir uns gerade noch in einem großen Ballsaal befunden haben, um gleich danach in ein Schlafzimmer versetzt zu werden, das mitten auf der Bühne steht.

Die Stilisierung der klassischen Ehebruchgeschichte „Anna Karenina“ geht noch sehr viel weiter. Nicht nur die Bühne des Theaters wird hier in Anspruch genommen, auch die Gänge und Garderoben sind mit einbezogen, wo man Schauspieler zwischendurch beim Umziehen beobachten kann. Und während man die Bühnenmaschinerie offengelegt sieht, schreckt Wright nicht davor zurück, ein ganzes Pferderennen nach innen zu verlegen und die Gäule schwer stampfend über die Rampe zu jagen.

All das mag bei der Verfilmung eines der bekanntesten Stoffe der Literatur zunächst ein wenig befremdlich anmuten. Doch gerade die Abgeschlossenheit des Theaterraums und die Zurschaustellung der Personen auf einem Bühnentableau lassen etwas von dem Zustand einer Ehe ahnen, in der die Titelfigur sich förmlich eingesperrt fühlt. Wie eine unendliche Befreiung mutet es da an, wenn sich die Hinterwand des Theaters plötzlich öffnen lässt und man sich von jetzt auf gleich an ganz anderen Orten befindet, mal in schneebedeckten Weiten, mal mitten in blühenden Wiesen und Feldern.

Das Schicksal der Anna Karenina, in St. Petersburg verheiratet mit dem Regierungsbeamten Alexei Karenin (Jude Law), ist nicht gerade selten verfilmt worden. Große Schauspielerinnen, von Greta Garbo über Vivien Leigh bis zu Sophie Marceau haben diese in verzweifelter Liebe zu einem Rittmeister entbrannte Frau bereits gespielt. Keira Knightley reiht sich nun mit edler Garderobe in diese Erste Klasse der darstellenden Künste ein. Eigentlich hat diese Anna wenig Grund, ihren zuvorkommenden Gatten zu hassen. Was ihre ungestüme Seele auf Dauer nicht ertragen kann, ist allein die penible Vorhersehbarkeit seines Handelns, selbst im Schlafzimmer. „Lass dich von der Liebe leiten“, rät sie wohlmeinend ihrer Schwägerin Dolly, die unter einem notorisch fremdgehenden Ehemann leidet.

Annas Ausflug zu ihrem Bruder Oblonskij nach Moskau entwickelt sich mehr und mehr zum Ausbruch, bei dem sie schließlich alle gesellschaftlichen Konventionen außer Acht lässt. Die Begegnung mit dem ansehnlichen Wronskij (Aaron Taylor-Johnson) beim Tanz setzt in Anna erotische Kräfte frei, die den Ehebruch für sie wie selbstverständlich werden lassen. Keira Knightley ist dabei durchaus in der Lage, der schwelgerischen Kamera diesen Taumel der Gefühle glaubhaft mitzuteilen, ihrem auf Schönling getrimmten Partner hingegen gelingt es an keiner Stelle, sich überzeugend in diese Beziehung fallen zu lassen. Diese auffallende Leerstelle kann der Film kaum retuschieren, nicht einmal durch die allgegenwärtige Vollblut-Musik des Komponisten Dario Marianelli.

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Als ob die Regie dieses Manko auswetzen möchte, setzt Joe Wright in seinem 130-Minuten-Epos gegen die ins Dunkel treibende Affäre einer verheirateten Frau die traute Zweisamkeit eines jungen Paares, das sich gerade erst über Umwege gefunden hat. Viel ausführlicher als bei Tolstoi nehmen wir Teil an der ländlichen Romanze des Gutsbesitzers Lewin (Domhnall Gleeson) und seiner Kitty (Alicia Vikander). Man könnte sie als Flüchtlinge aus einer Gesellschaft bezeichnen, die durch ihre Ausgrenzungsmechanismen die arme Anna schließlich zum Äußersten treibt.