Frankfurt. Buchmesse 2009 zwischen Tradition und Moderne: Ein selbstbewusster Papier-Gigant, der aber doch ein bisschen nach dem E-Book schielt. Der Bedrohung der Branche durch die Digitalisierung wird mit neuen Schwerpunkten begegnet.

Die Geschichte des Buches beginnt mit einem Wassertropfen, er fällt in einen See und schlägt Wellen. Vom Wasser zum Papier zum Druck – und weiter: Diesen Weg bereist das Gastland China im „Forum” der Frankfurter Buchmesse. Designer Li Jiwei ordnete die Schaukästen an, als folgten sie dem Wellenschlag, historische Dokumente früher Druckkunst auf hoher See. Im äußersten Kreis: das E-Book.

Die Frankfurter Buchmesse ist ein Gigant, der sich so leicht nicht beirren lässt. Die Umarmungstaktik gilt für China wie die digitale Unbill gleichermaßen – mit einigen zusätzlichen Podiumsdiskussionen kriegen wir den Ärger schon in den Griff, mag auch Amnesty International in unserer Mitte Unterschriften sammeln für inhaftierte chinesische Schriftsteller. Der Bedrohung der Branche durch die Digitalisierung begegnen wir mit Anbau: hier ein Schwerpunkt „Creative Industries”, dort ein „weiss'raum” für digitale Kommunikation. Sogar ein „Forum Nonbook” gibt es auf der Buchmesse! Und die Verlage müssen sich fragen lassen: „Faxt du noch oder bloggst du schon?”

Sog des Gesagten

Sie mögen bloggen und twittern, in Frankfurt geht es vor allem ums: quatschen. Ein Sog des Gesagten, dem sich sogar die scheue neue Nobelpreisträgerin nicht entziehen kann: Herta Müller, von übler Magenkrankheit wieder genesen (so ihr Verlag), nimmt auf den Fernsehsesseln der Messe Platz. Ebenfalls auf dem Podium erzählt Günter Wallraff, warum er ausgerechnet im Dezember unter Obdachlosen lebte: „Ich mag Weihnachten nicht” – da war er froh, mal rauszukommen. Einige Meter weiter darf die staunende Menge von Schriftsteller Thomas Glavinic erfahren, dass „Religion eine Art Lebensinhalt” sei heutzutage. Ihren Lebensinhalt, nein: -gefährten stellt Elke Heidenreich am Hanser-Stand vor mit einem flotten: „Tach! Das ist mein Freund, der Komponist.” Ebenso bodenständig gibt sich Frank Schätzing, der bei Kiepenheuer&Witsch in Lederjacke und Seidenschal Hof hält.

Es herrscht Verwirrung in der Branche

Die Verlage Kiepenheuer & Witsch, Droemer Knaur, Fischer und Rowohlt hatten kurz vor Beginn der Buchmesse verlautbaren lassen, „jetzt auch” E-Books anzubieten, bis zum Jahresende werden es 1500 sein. Schätzings „Limit” ist nicht dabei. Man wolle bis zum Frühjahr warten, um die Lesereise damit zu bewerben. Das E-Book als Marketing-Tool, als Werbefähnchen? Es scheint Verwirrung zu herrschen in der Branche. Eine Umfrage der Buchmesse ergab: 80 Prozent der internationalen Branchenexperten sehen die Digitalisierung als Chance, nicht als Krise. Schon bei der Frage aber, wie teuer ein E-Book denn sein sollte, herrscht größtmögliche Uneinigkeit – vier Prozent meinten gar, es sollte teurer als das gedruckte Buch. Nur 15 Prozent mochten sich auf Amazons Standardpreis von 9,99 US-Dollar einlassen.

Das Internetversandhaus wird sein jüngstes Baby, das Kindle, kurz nach der Messe auch in Deutschland zur Welt bringen, als Konkurrenz zum Reader. Und obschon in den USA jüngst von Dan Browns „The Lost Symbol” mehr digitale als gedruckte Bücher verkauft wurden, belächelt Gottfried Honnefelder vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Einführung. Grundsätzlich aber werde sich das E-Book „auf den Buchmarkt auswirken”, sagt er. In der ersten Hälfte dieses Jahres wurden laut Gesellschaft für Konsumforschung erst 65 000 E-Books verkauft.

Tropenwaldzerstörung für Kinderbücher

Terezia Mora sitzt in einem Interviewzimmer, irgendwo im Gewirr der Messe. In ihrem Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent” befasst sie sich mit der Computerbranche – doch so sehr sie auch das Netz schätzen mag als Recherchehilfe, das virtuelle Buch ist kein Thema für sie. „Ich bin eine Vielleserin, ich muss mich immer sehr beschränken, wenn ich wegfahre – da wäre es sicher praktisch. Wahrscheinlich aber wird das, was ich lese, gar nicht als E-Book angeboten?"

Papier wird aus Wasser hergestellt - und Holz. Der Witz, dass das E-Book Regenwälder retten könnte, bekommt durch eine Studie des World Wildlife Fund unkomischen Gehalt: „Tropenwaldzerstörung für Kinderbücher” lautet die Studie zu dramatischen Tropenholz-Funden in den 4900 Tonnen Kinder- und Malbüchern, die Deutschland 2008 importierte. Ein Drittel davon wurden gefertigt: in China. Ist das nicht ein Skandal?