Essen. Welch eine Überraschung: Erstmals in seinem 40-jährigen Berufsleben hat Bryan Ferry ein Album herausgebracht, auf dem er keine Zeile singt. „The Jazz Age“ ist rein instrumental, benutzt lediglich die bekanntesten Songs des einstigen Wahrzeichens von Roxy Music. Im Interview spricht Ferry über seine Zeitreise in die goldenen 20er, den Sexappeal seiner neuen Platte und Pläne für die nächsten Jahre.

Zu seinem 40-jährigen (!) Bühnenjubiläum hat Bryan Ferry einige seiner Stücke neu vertont – und zwar instrumental im Stil von „The Jazz Age“, der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. So kommt das heute erscheinende Album dann auch zu seinem Titel. Ein tolles, stimmiges Werk, auch ohne Ferrys Stimme. Trotzdem wollte unsere Mitarbeiterin Katja Schwemmers von dem 67-Jährigen wissen, warum er seinen Fans das antut.

Mr. Ferry, auf „The Jazz Age“ hört man Ihre Hits im originellen 20er-Jahre-Jazz-Gewand, aber nicht den Schmelz Ihrer Stimme.

Bryan Ferry: Gott sei dank, was für eine Erleichterung!

Manche würden sagen, ein Album ohne Ihre Stimme ist wie ein Burger ohne Boulette!

Ferry: Wenn die Leute unbedingt Boulette wollen, können sie immer noch den Original-Versionen der Songs lauschen. Die Idee ist nun mal, aus meinen Liedern ein Instrumental-Album gemacht zu haben. Stimmen stellen sich manchmal nur in den Weg.

Hören Sie Ihre eigene Stimme gern?

Ferry: Es geht. Ich selbst höre meine Lieder fast ausschließlich als Instrumental-Versionen. Denn wenn ich im Studio daran arbeite, füge ich die Vocals erst ganz am Schluss hinzu.

Ende mit Bryan Ferry

Bryan Ferry  auf der Dortmunder Music Week 2011
Bryan Ferry auf der Dortmunder Music Week 2011 © Ralf Rottmann
Bryan Ferry  auf der Dortmunder Music Week 2011
Bryan Ferry auf der Dortmunder Music Week 2011 © Ralf Rottmann
Bryan Ferry  auf der Dortmunder Music Week 2011
Bryan Ferry auf der Dortmunder Music Week 2011 © Ralf Rottmann
Bryan Ferry  auf der Dortmunder Music Week 2011
Bryan Ferry auf der Dortmunder Music Week 2011 © Ralf Rottmann
Bryan Ferry  auf der Dortmunder Music Week 2011
Bryan Ferry auf der Dortmunder Music Week 2011 © Ralf Rottmann
Bryan Ferry  auf der Dortmunder Music Week 2011
Bryan Ferry auf der Dortmunder Music Week 2011 © Ralf Rottmann
Bryan Ferry  auf der Dortmunder Music Week 2011
Bryan Ferry auf der Dortmunder Music Week 2011 © Ralf Rottmann
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Manchmal plagen mich dann Gedanken wie: Oh mein Gott, ich werde das Stück versauen, wenn ich drüber singe, weil es sich so gut anhört! Auf dieser Platte bin ich dem Problem aus dem Weg gegangen.

Sie wollten die Songs also nicht ruinieren?

Ferry: Nun ja, vielleicht ruiniere ich sie doch irgendwann auf Tournee, wenn ich den richtigen Gesangsstil dafür gefunden habe.

Immerhin gehen Sie mit dem Zeitgeist: Im Oscar prämierten Film „The Artist“ bleiben die Menschen auch stumm.

Ferry: Da sagen Sie was! Ich liebe „The Artist“. Ich habe jahrelang keinen Film mehr gesehen, der mich so begeistert hat. Bald kommt auch „Der große Gatsby“ zurück in die Kinos. Und ich mache die Musik zur 20er-Dekade – das passt also bestens. Ich würde es lieben, wenn jemand etwas davon für einen Soundtrack benutzen würde.

Wie sind Sie denn überhaupt auf diesen Stil gekommen?

Ferry: Nun, es hätte auch ein Album mit Orchester und Streichern werden können. Aber in den letzten Jahren fing ich wieder an, Jazz zu hören. Das ist die Musik, die ich schon in meiner Jugend gut fand – Platten von Louis Armstrong, Joe „King“ Oliver und dem frühen Duke Ellington. Irgendwann wusste ich: Genau das will ich selbst machen!

Und nun sind Sie glücklich darüber?

Ferry: Ja, es hat viel besser funktioniert, als ich vorher annahm. Einige der Stücke haben wir in einem eher losen Arrangement umgesetzt, im Louis-Armstrong-New-Orleans-Stil, der die ungestüme, freche Seite der 20er Jahre repräsentiert. Andere meiner Songs, die eher stimmungsvoll und introspektiv anmuten, passten besser zum Stil des Duke Ellington Orchestra, das eher eitel und anspruchsvoll daherkam.

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Manche nennen das Dschungel-Musik, weil sein Orchester als Perkussion Kokosnüsse einsetze. Das ist ein wunderschöner Sound, der bei Ellington in dem Stück „Creole Love Call“ gipfelte. Und das ist die Seite der 20er, die ich wirklich mag: Die Musik aus dem Cotton Club, dem Nachtclub, wo die Mädchen tanzten.

Eigentlich fand sich die Dekadenz der 20er doch immer in Ihrem Werk wieder.

Ferry: Das stimmt. Und das ist auch der Grund, warum ich Berlin immer mochte. Neben New York war es die dekadenteste Stadt überhaupt. Die zwei Orte waren wie Zwillinge. Aber die 20er-Dekade ist für sich schon faszinierend. Charles Lindbergh überquerte zum ersten Mal den Atlantik. Es war die Zeit als Leute anfingen, mit dem Flugzeug nach Amerika zu fliegen. Und es war der Beginn des Modernismus in der Kunst. Und dann war da diese tolle Dichtkunst, besonders F. Scott Fitzgerald mit seinem Buch „Die Schönen und Verdammten“ von 1922 hat es mir angetan. Es muss einfach eine fantastische Zeit gewesen sein.

Würden Sie gerne eine Zeitreise dorthin machen?

Ferry: Das tue ich ja, in dem ich Filme dieser Zeit anschaue! Wir sind heute sehr verwöhnt, weil wir in die Vergangenheit eintauchen und uns das Beste davon herauspicken können. Eine Zeitreise in die 20er stelle ich mir auf jeden Fall aufregend vor. Ich habe viel Spaß gehabt, die US-amerikanische TV-Serie „Boardwalk Empire“ anzugucken. Es geht darin um die Prohibition in den USA in den 20ern, um Gangster und Drogen. Und alle tragen diese herrliche Kleidung jener Zeit.

Apropos: Wo ist denn Ihr 20er-Jahre-Outfit, Mr. Ferry?

Ferry: Ich befürchte, ich hab keins. So weit geht die Liebe dann doch nicht. Obwohl sie wirklich wunderschöne Kleidung hatten. Besonders in den ersten Fred-Astaire-Filmen in den späten 20ern sieht man die Klasse. Letztendlich ist es aber besonders die Einstellung der Menschen von damals, die mir gefällt.

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Sie waren sehr leichtsinnig, lebten nach dem Motto: nach mir die Sintflut! Es war eine Party-Ära. Und gute Partys habe ich mit meiner Musik immer schon unterstützt.

Ist das Ihr Anliegen, die Leute wieder zum Tanzen in die Ballsäle zu bewegen? In London soll es ja bereits 20er-Motto-Partys geben!

Ferry: Das habe ich auch gehört. Aber ich war noch bei keiner dieser Partys. Die finden im East End von London statt, wo heute die jungen Leute und coolen Künstler wohnen. Mein Sohn Tara lebt dort. Wenn er nicht gerade als Drummer mit mir auf Tour ist, studiert er Kunst am Saint Martins College of Art and Design. Er hat erst letzte Woche eine Party im 20er-Jahre-Stil geschmissen – zu der ich ihn inspiriert habe. Ich war leider außer Landes zu der Zeit. Aber es ist sehr lustig, was diese Musik auch bei jungen Menschen anrichtet.

Würden Sie sich als Nostalgiker bezeichnen?

Ferry: Nun, ich liebe Geschichte und habe eine Schwäche für die Vergangenheit. Aber ich lebe nicht in ihr. Ich denke, ich lebe halbwegs vernünftig im Hier und Jetzt. In der Schule hatte ich eine wundervolle Geschichtslehrerin. Wenn die alte Lady Misses Hope anfing, von der Französischen Revolution zu erzählen, war ich für Stunden völlig gefesselt. Dort habe ich meine Liebe zur Geschichte entwickelt. Die meisten Bücher, die ich lese, sind Biografien aus den unterschiedlichen Dekaden. Da kann man schon mal nostalgisch werden, denn damals war die Erde weniger überfüllt und verschmutzt. Aber demgegenüber steht heute die Technologie, die wir mögen, weil sie unser Leben vereinfacht.

Und nun lassen Sie Ihre Vorliebe für Geschichte in der Musik heraus!

Ferry: Ja, und das ist faszinierend. Mit Roxy Music wollte ich immer etwas Neues, Frisches machen und - gewagt ausgedrückt – Avantgarde. Ich wollte anders sein. Es ist fast ironisch, dass ich mit diesem Album zurück zu meinen Wurzeln, dem Jazz, gehe. Aus irgendeinem Grund ist das eine ziemlich erfrischende Angelegenheit.

Für das Album-Artwork haben Sie sich bei den Original-20er-Illustrationen von Paul Colin bedient.

Ferry: Die sind wunderschön, nicht wahr? Das Cover zeigt eine Collage aus verschiedenen Elementen seiner Poster. Er lebte damals in Paris mit der Tänzerin und Schauspielerin Josephine Baker zusammen, deshalb ist da diese tiefe Verbindung zur Musik. Im CD-Booklett wird man noch weitere Illustrationen von ihm finden.

Wo Sie schon Josephine Baker erwähnen, die leicht bekleidet durch Pariser Nachtclubs tanzte. Wie sexy ist Ihre Platte?

Ferry: Die Musik hat schon Sexappeal. Denn es herrschte damals sexuelle Aufbruchsstimmung. Wenn man Clips sieht von den tanzenden Mädchen im Cotton Club, war das eine sehr erotisierende Angelegenheit. Sie trugen diese tollen Haarschnitte, die man Bob nennt. Die Bob-Frisur ist wieder im Kommen, ich habe sie jüngst auf Fotos in einigen Modemagazinen gesehen.

Trägt Ihre Frau auch Bob-Frisur? Sie haben ja im Januar zum zweiten Mal geheiratet!

Ferry: Nein, und es gab auch keine 20er-Jahre-Musik auf meiner Hochzeit! Die Zeremonie fand auf den Turks- und Caicosinseln in der Karibik statt. Wir waren insgesamt nur sechs Leute. Nicht mal meine ganze Familie war da, nur mein Sohn Isaac, der ein sehr guter Fotograf ist und unser Hochzeitsfoto machte. Einige Tage später war Prince, der Musiker, zufällig auch dort auf Urlaub. Ich habe ein bisschen Zeit mit ihm verbracht. Ich bin ein großer Fan von ihm. Es war das erste Mal, dass wir uns trafen. Und auch mein Freund Ridley Scott (Filmregisseur, u.a. „Alien“ und „Blade Runner“, Anm. d. Red.) war dort. Er ist wie ich ein Jordie, wir kommen beide aus dem Norden Englands und sprechen dieselbe Sprache. Wenn man so will, habe ich also meine Flitterwochen mit Prince und Ridley Scott verbracht.

Aber den Trauschein zu haben, ist Ihnen schon wichtig!?

Ferry: Ich bin nun mal ein unverbesserlicher Romantiker - nicht nur in der Musik. Und ich habe herausgefunden, dass es ziemlich gut für einen Künstler ist, etwas Beständiges in seinem Leben zu haben.

Liebe war auch immer eine Inspiration für Sie!

Ferry: Ja, das denke ich auch. Sie kommt zumindest verstärkt in meinen Liedern vor.

In zwei Jahren werden Sie 70, was man nicht glauben mag, wenn man Sie ansieht.

Ferry: Ich kann es selbst nicht glauben! Es ist sehr beunruhigend für mich. Aber ich muss sie korrigieren, es sind noch drei Jahre bis dahin! Es fühlt sich auf jeden Fall komisch an. Ich denke, ich muss noch das Meiste aus mir rausholen.

Das bedeutet, wir können in nächster Zeit noch mehr Alben erwarten?

Ferry: Ja, das hoffe ich. Wir arbeiten gerade an einem Album mit neuen Songs, das Ende nächsten Jahres herauskommen soll. Aber erstmal will ich viele Liveshows spielen. Letztes Jahr habe ich 90 Konzerte gegeben. Ich würde diesmal gerne den Jazz mit den Musikern, die die neue Platte eingespielt haben, auf die Bühne bringen und das einbinden in meine Show, in der ich natürlich auch singe. Es muss also auch meine Rockband dabei sein. Gerade Deutschland hatte immer eine starke Bindung zum Jazz. Es wäre schön, pure, akustische Instrumente dabei zu haben, wo ich mich doch so viele Jahre mit lauten E-Gitarren umgeben habe. Ich hoffe, da auch eine Ehe dieser zwei Welten hinzubekommen.

Und wenn die Band dann die Jazz-Stücke spielt...

Ferry: ...sitze ich einfach nur da, rauche Zigarre und lausche meiner eigenen Musik.