Essen. Ein märchenhafter Aufstieg: Nele Neuhaus schrieb sich mit ihren Taunus-Krimis zur Königin der deutschen Spannungsliteratur empor. Soeben erschien mit „Böser Wolf“ der sechste Fall für das Ermittlerduo Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein. Im nächsten Jahr kommt einer ihrer Romane ins Fernsehen.

Ihren ersten Krimi brachte einst der Metzgereiwagen zu den Buchhandlungen im Taunus. Nicht, weil die Geschichte so blutig gewesen wäre. Sondern weil Nele Neuhaus damals eine unbekannte junge Fleischfabrikanten-Gattin war, die in ihrer Freizeit schrieb, ihre ersten Bücher im Selbstverlag veröffentlichte – und den Vertrieb kurzerhand ebenfalls selbst in die Hand nahm. Ihr Debüt „Unter Haien“, ein Börsen-Krimi mit Schauplatz New York, hatte 2004 eine Startauflage von 500 Exemplaren. Ihren ersten Taunus-Krimi, „Eine unbeliebte Frau“, ließ Nele Neuhaus dann, mutig geworden, schon in richtig großer Auflage drucken: tausend Stück!

Heute hat sich ihre Taunus-Reihe über zwei Millionen Mal verkauft: in ganz Deutschland. Längst gibt es Übersetzungen in aller Welt, zuletzt auf Koreanisch. Das neue Buch „Böser Wolf“ eroberte Platz eins der Bestsellerliste. Im nächsten Jahr kommt „Schneewittchen muss sterben“ ins Fernsehen.

Von einer, die auszog, ein Buchweltstar zu werden: was für ein schönes Märchen. Und wahr!

Nele Neuhaus hat schon als Kind Geschichten erfunden

Dabei ist Nele Neuhaus ein bodenständiger Typ Mensch. Die 44-Jährige hat sich ihren Erfolg hart erkämpft, wie sie sagt: „Um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt bin, habe ich über Jahrzehnte hinweg auf sehr viel verzichtet, meinen Traum vom Schreiben lange zurückgestellt. Aber ich habe nie aufgegeben, nicht einmal bei stärkstem Gegenwind.“ Geschichten erfunden nämlich hat sie schon als Kind, auf Wunsch der Eltern aber doch erst einige Semester Jura studiert. Bevor sie, begeisterte Reiterin, bei einem Turnier ihren Mann kennenlernte – und den 20 Jahre älteren Fleischwarenfabrikanten aus Schwalbach heiratete.

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Von Britta Heidemann

Fortan half sie morgens in der Firma, trainierte nachmittags auf den eigenen Pferden, schrieb mal ein paar Zeilen – nein, so klingt kein Märchen. Eher schon so: Es war mal eine junge Frau, die das kriminelle Potenzial ihrer ländlichen Heimat erkannte. Es war einmal eine Buchhändlerin in Königstein, die einem Verlag erzählte von Regionalkrimis, die sie noch besser verkaufte als Harry Potter. Und es waren einmal zwei Lektorinnen: Ihnen dankt Nele Neuhaus nun im Nachwort ausdrücklich dafür, dass sie „aus einer anfänglichen Idee ein Buch gemacht haben“.

"Böser Wolf" spielt in der Champions League der Spannungsliteratur

„Böser Wolf“, erstmals ein Hardcover, kann in der Tat locker in der Champions League der Spannungsliteratur mitspielen. Rasche Szenenwechsel, klug gelegte falsche Fährten, Figuren zum Mitleiden – ein handwerklich ausgereiftes Werk, dessen viele Handlungsstränge am Ende zusammenlaufen wie von selbst. Die Story um einen Kinderschänderring ist zwar atemberaubend düster, dennoch gelingen Neuhaus Zwischentöne.

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Die Psychologie der Opfer hat sie ebenso im Blick wie die Perfidie der Täter. Nur zuweilen rutschen ihr (und den Lektorinnen) allzu platte Sätze durch: „Tote Kinder und Jugendliche sorgten bei allen Beteiligten für echte Betroffenheit“, heißt es, als ihr Ermittlerduo Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein zum Auftakt mit einer Mädchenleiche im Main konfrontiert sind. Vielleicht aber liegt es gerade an der unspektakulären Sprache, dass sich die Leser in ihren Büchern so zu Hause fühlen?

Mit Ermittlerin Pia Kirchhoff teilt Neuhaus nicht nur das Geburtsjahr (1967), sondern auch ein gerüttelt Maß Eigensinn und Eigenständigkeit. Inzwischen lebt Nele Neuhaus, wie Heldin Kirchhoff, nach langjähriger Ehe von ihrem Mann getrennt. Allein mit Jack-Russell-Terrier Shelby teilt sie nun ein Heim. Ihrer Heldin Kirchhoff aber hatte sie neues Liebesglück beschert, und so viel dürfen wir verraten: In „Böser Wolf“ lebt Pia auf dem traumschönen Birkenhof weiter mit ihrem Christoph zusammen. So viel heile Welt gönnt uns Nele Neuhaus dann doch.

  • Nele Neuhaus: Böser Wolf. Ullstein, 400 S., 19,99 €