Essen.. Keine Spur vom Schwächeln. Auf der Essener Welterbe-Zeche Zollverein geht die Kunstmesse „Contemporary Art Ruhr“ (C.A.R) in ihr siebtes Jahr. 150 Künstler, 8000 Quadratmeter — und die ganze Bandbreite aktueller Strömungen bildender Kunst.

Kunst scheint gerade in jüngster Zeit auf der Liste der aussterbenden Messe-Arten zu stehen. Das Frühableben der mit aller Finanzmacht aufgetretenen „Düsseldorf Contemporary“ ist ja nur ein Sterbefall von etlichen. Umso mehr staunt man, dass die Contemporary Art Ruhr auf der Essener Welterbe-Zeche Zollverein nun auch im siebten Jahr ihres Bestehens weiter gewachsen ist: Mehr als 150 Künstler auf 8000 Quadratmetern Ausstellungsfläche und zehn Galerien aus dem südkoreanischen Seoul bilden einen eigenen Schwerpunkt. Inzwischen bespielt die seit 2006 ständig gewachsene Messe fünf Hallen auf Zollverein, das Red-Dot-Design-Museum und den futuristischen SANAA-Würfel inklusive.

Ein Hauch von Entdecker-Messe

Lockere Stellwände und luftige Wege statt beengter Kojen und stauträchtiger Gänge: die C.A.R. spielt die Weitläufigkeit des Welterbegeländes und seiner Hallen als Standort-Vorteil aus. Und vor allem: Sie ist nicht festgelegt auf marktgängige Kunst – „wir wollen eher den aktuellen Stand der Kunstentwicklung spiegeln“, sagt C.A.R.-Macher Thomas Volkmann. Deshalb sind auch Kunsthochschulen wie Folkwang oder Burg Giebichenstein aus Halle vertreten, die der C.A.R. einen Hauch von Entdecker-Messe geben. Und so ist das wächserne Contergan-Baby, das ein Kirill Ivlev aus einem rosa Plastikgebirge herauswachsen lässt, eine gespenstische Erinnerung an verdrängte Ängste, ähnlich wie Ewa Kwasiewskas Gastmasken-Teddies, die bei der Galerie Reimus als Radierung und in Öl zu haben sind. Johanna Fabers „Augen“-Installation mit einem guten Dutzend Augäpfeln auf Stangen sind hingegen eine ironisch-freche Auseinandersetzung mit Polizei- und Überwachungsstaaten.

„Inka“-BH und Bierglas-Bilder

Elegant muten dagegen Andreas Lutherers in Streifen auf Glas zerlegte Landschaften an (Galerie Purrmann, 4800 Euro). Auffällig ist in diesem Jahr die Häufung von Draht-Skulpturen, angefangen bei Frank Neyes Stuhl-Objekt (Galerie Halle 4) und längst nicht aufgehört bei Joanna Skurskas „Inka“-BH (Red Corridor) oder Bettina Lüdickes verspieltes „Tetra“-Form, die der Phantasie je nach Perspektive stetig neuen Zucker gibt. In probater Nachbarschaft zu den Bier-Gemälden von Metulczki, der ganz gewöhnliche Kneipenmotive in altmeisterlicher Manier in Schellack und Acryl feiert.

Sehenswert auch die Träger der erstmals Kunstpreise der C.A.R.: Folkwang-Studentin Melanie Hübner hat 1444 Kontoauszüge zu Küchenschaben gefaltet, zum Teil mit dem Bügeleisen geschwärzt und unter Glas aufgespießt wie Forschungsobjekte von Insektenforschern. Das Duo „Megah3rtz“ (Valentina Boneva/Stefan Müller) hat eine fesselnde 9-Minuten-Licht-und-Soundinstallation fürs Foyer der Zollverein-Halle 12 entwickelt und Sebastian Mölleken fotografierte Pott-Promis von Herbert Knebel über Rudi Assauer bis Fritz Pleitgen im Heldenlicht.

„Vernetzung“ bringt den Aufstieg

Das Ruhrgebiet, sagte WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz am gestrigen Abend bei der Eröffnung der Messe, sei angesichts der C.A.R. als Ganzes gefordert. Nur in der „Vernetzung mit anderem Attraktiven“ zu einem „Gesamtangebot des Reviers“, als „Teil eines touristisch attraktiven Ganzen“ könne der Kunstmesse der „Aufstieg in die Champions League“ gelingen, den sich die Gründer vorgenommen haben.