Münster. . Im NRZ-Interview äußert sich der Bischof von Münster zu Halloween und Schoko-Weihnachtsmännern im Oktober – zur Rolle der Frau in der Kirche und der Situation der Gemeinden nach der fast vollendeten Strukturreform.
Vor dem trüb-grauen November lockt heute ein gruselig-buntes Partyspektakel. Parallel zum evangelischen Reformationsfest und am Vorabend des stillen, katholischen Allerheiligen-Fests grinsen die Kürbis-Fratzen von Halloween in die Dämmerung. Kritisieren mag dies der Münsteraner Bischof Felix Genn nicht. Vielmehr müsse die Kirche die Chance nutzen, ihre Botschaft als gute Alternative darzustellen, sagt der auch für den Niederrhein zuständige Kirchenführer im NRZ-Interview mit Chefredakteur Rüdiger Oppers und Thomas Rünker.
Bischof Genn, Halloween steht vor der Tür. Hat man Sie auch schon vor die Wahl „Süßes oder Saures“ gestellt?
Die Frage ist mir noch nicht gestellt worden. Aber ich bin sehr froh zu sehen, dass Gemeinden auf dieses Thema reagieren. In Kevelaer zum Beispiel veranstaltet die Jugend seit mehreren Jahren am Abend vor Allerheiligen ein Alternativangebot zu Halloween. Nicht einfach dagegen sein, sondern etwas anbieten, das mindestens genau so attraktiv ist – das finde ich gut. So etwas wünsche ich mir noch mehr.
Aber Halloween und Allerheiligen?
Bei der Verbreitung des Christentums haben die Missionare immer geschaut, welche Kultur schon vorhanden ist, und welche Werte es darin gibt, die mit dem Christentum vertieft werden können. So kann man heute auch mit Halloween umgehen: Aufklären, woher dieser Brauch kommt, und gleichzeitig überlegen, wie wir das mit der alten Tradition verbinden können, zu Allerheiligen und Allerseelen die Gräber auf den Friedhöfen zu besuchen. So kann für alle ein Mehrwert entstehen.
Trotzdem scheint die Kommerzialisierung von Glaubens-Elementen unaufhaltsam, etwa angesichts der Heerscharen von Schoko-Weihnachtsmännern, die schon seit Wochen in den Supermärkten stehen. Muss die Kirche da nicht kapitulieren?
Ich denke nicht. Dem Weihnachtsmann können wir gut unseren Nikolaus entgegenhalten. Der mag ja aus der gleichen Schokolade sein, aber die Figur ist doch viel wertvoller – schließlich steht der Nikolaus nicht nur für materielle Geschenke wie der Weihnachtsmann, sondern für ehrliche Liebe. Darauf kann ich doch aufbauen.
Und doch bleibt gerade Weihnachten, das Fest der Liebe, äußerst kitschanfällig…
Wenn ich in meiner Zeit als Bischof von Essen Ende November durch das Ruhrgebiet gefahren bin, haben mich die vielen beleuchteten Bäume und Häuser manchmal sehr berührt. Da habe ich gedacht, früher hättest du dagegen opponiert und gesagt: Der Weihnachtsbaum hat im November nichts zu suchen. Aber dann habe ich gesehen, dass sich die Menschen in diesen oft tristen Wohnsiedlungen mitten in der dunkelsten Jahreszeit eine Atmosphäre schaffen, die sie anspricht. Und auch das kann ich als Bischof aufgreifen und sagen: An dieser wohltuenden Atmosphäre könnt Ihr erahnen, was es bedeutet, wenn Christus sagt: „Ich bin das Licht der Welt“.
Mit einer Neuerweckung des christlichen Glaubens, der Neuevangelisierung, haben sich jetzt auch die Bischöfe auf der Synode in Rom beschäftigt. Wie sieht da ihr Ansatz am Niederrhein und im Münsterland aus?
Ich spreche lieber von neuer als von Neuevangelisierung. Die meisten Menschen hier haben doch eine gewisse christliche Grundlage: Sankt Martin, Nikolaus, Weihnachten, Ostern…– damit können die meisten etwas anfangen. Aber dies wieder so zu beleben, dass die Inhalte zu leuchten beginnen, das meine ich mit neuer Evangelisierung – und das kann immer nur nah bei den Menschen ansetzen.
Vielleicht ist Halloween so beliebt, weil Allerheiligen so kompliziert klingt, zu weit von den Menschen weg?
Bei Allerheiligen geht es um Vorbilder. Das verstehen gerade Jugendliche gut. Jeder orientiert sich an Vorbildern, egal ob an einem Fußballstar oder am eigenen Großvater. Ich finde es immer wieder bewegend, wie sehr Jugendliche gerade der Tod der Großeltern bewegt. Das würdigende und liebende Gedenken gegenüber den Verstorbenen bildet gewissermaßen den natürlichen Ansatzpunkt für die Heiligenverehrung.
Heiligenverehrung beginnt also nicht im kirchlichen Heiligenkalender?
Nein, sondern gerade auf dem Friedhof. Deshalb besuchen viele Katholiken dort an Allerheiligen und Allerseelen die Gräber ihrer Angehörigen.
Der Papst möchte, dass der Glaube nicht nur an Allerheiligen oder Weihnachten eine Rolle spielt, und hat ein „Jahr des Glaubens“ ausgerufen – wie lässt sich der Glaube in den Alltag einbringen?
Das funktioniert immer nur mit dem Engagement überzeugter Katholikinnen und Katholiken. Das ist keine Frage des Mangels an hauptamtlichen Seelsorgern, sondern das war immer schon so. Die ersten Glaubenszeugen für mich waren keine Geistlichen, sondern meine Eltern und die Leute um sie herum. Und in dieser Glaubensweitergabe begegne ich auch heute vielen Frauen und Männern, die sich redlich darum bemühen.
Muss die Kirche nicht dennoch eine bessere Unterrichtung im Glauben, eine bessere Katechese anstreben?
Ja, ich denke schon. Zudem muss die Katechese stärker Erwachsene in den Blick nehmen. Sie darf sich nicht nur auf die Vorbereitung zu Beichte, Erstkommunion und Firmung konzentrieren, sondern muss auch neue Formen der Glaubensweitergabe in anderen Lebensphasen anbieten. Eine Gemeinde in unserem Bistum bietet zum Beispiel einen „Stammtisch für Zweifler“ an – so etwas finde ich eine tolle Idee.
Kirchenschließungen oder Gemeindefusion – viele Pfarreien in Ihrem Bistum, in denen Katechese stattfinden soll, mussten sich zuletzt vor allem mit organisatorischen Fragen auseinandersetzen. Die große Strukturreform…
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…ist jetzt fast überall geglückt. Bis auf drei Orte in Rheinhausen, Dorsten und Hamm, dort ist die neue Struktur noch nicht ganz klar. Aber das ist auch nicht so schlimm, denn im Moment haben wir noch etwas Zeit. Das ist der Unterschied zu Essen, wo ich sofort handeln musste – in Münster gibt es einen gewissen finanziellen Puffer, so dass wir letztlich so lange reden können, bis wir uns einig sind. Deshalb läuft die Umstrukturierung im Bistum Münster im Vergleich zu Essen relativ geräuschlos.
Nur dank der besseren finanziellen Ausstattung?
Wir haben in Münster von Anfang an einen inhaltlichen Plan entworfen, wie diese neue Gemeindestruktur mit Leben gefüllt werden kann. Und ich habe ein paar Grundentscheidungen getroffen, die für diese ländlich geprägte Region wichtig sind, zum Beispiel dass wir keine alte Kirche in einer Bauernschaft schließen. Die Kirchen, die wir schließen müssen, sind – wie im Ruhrgebiet – fast alles Bauten, die 40, 50 und nur in Ausnahmen auch mal 100 Jahre alt sind.
Im Ruhrbistum hat sich Ihr Nachfolger Franz-Josef Overbeck dafür stark gemacht, mehr Frauen gerade in Spitzenpositionen der kirchlichen Verwaltung einzusetzen. Haben Sie da auch in Münster noch Nachholbedarf?
Ich stimme ihm in diesem Punkt vollkommen zu. Die Frage des priesterlichen Weihe-Amtes in der Kirche ist entschieden, doch deshalb muss umso deutlicher werden, dass die Kirche keine reine Männer-Gesellschaft ist. Nicht zum Trost, sondern aus selbstverständlicher Wertschätzung den Frauen gegenüber. Im Bistum Münster haben wir eine bischöfliche Frauenkommission, die schon länger an diesem Thema arbeitet. Wir haben auch schon einige Frauen selbst in den obersten Leitungsgremien des Bistums – aber es könnten noch mehr werden.
Woran scheitern die Bemühungen?
Bei vielen Stellenausschreibungen sagen mir meine Mitarbeiter, es würden sich keine passenden Kandidatinnen bewerben. Vielleicht müssen wir uns noch stärker in der Frauenförderung engagieren. Das ist mir auf jeden Fall ein ganz wichtiges Anliegen, bei dem wir sicher noch mehr tun können.
Die kirchliche Arbeitswelt scheint derzeit ohnehin in Bewegung. Eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz arbeitet derzeit zum Beispiel an einem möglichen neuen Umgang mit Arbeitnehmern, die geschieden sind und wieder heiraten.
Wir müssen künftig genauer hinschauen, ob wir jemanden trotz einer gescheiterten Beziehung beschäftigen können – und wenn ja, in welchem Bereich. Da sehe ich auf jeden Fall Möglichkeiten. Allerdings sehe ich eine klare Grenze für den Bereich der Verkündigung. Als Pastoral- oder Gemeindereferenten werden wir auch künftig keine wiederverheirateten Geschiedenen zulassen – genau so, wie jemand, der den Zölibat nicht mehr leben kann, nicht weiter das Priesteramt ausüben kann.
Aber wie steht es etwa mit einem katholischen Krankenhaus?
Wenn wir nach einem katholischen Chefarzt suchen, aber keinen finden, ist das für mich keine dogmatische Frage. Daran hängt für mich nicht allein die katholische Identität des Krankenhauses.