Oberhausen. Die Wirtschaft liegt am Boden - und plötzlich haben rechte Kräfte mächtig auftriebt. Der historische Hintergrund von „Cabaret“ findet am Oberhausener Theater aktuelle Bezüge. Die Premiere wurde begeistert gefeiert.

Im ersten Augenblick fühlt man sich doch irritiert. Auf der Bühne ist man bei dieser „Cabaret“-Inszenierung gerade beim Nazi-Bekennersong „Tomorrow Belongs to Me“ (Der morgige Tag ist mein) angekommen, da stehen im Publikum plötzlich ein paar Besucher auf und singen ergriffen mit. Die Erkenntnis dämmert: Regisseur Roland Spohr hat in Oberhausen keineswegs vor, das auch durch seine Verfilmung hinlänglich bekannte Musical als eine Botschaft aus ferner Zeit zu begreifen. Für ihn ist der Rechtsextremismus ein tätiger Vulkan, der jederzeit erneut ausbrechen kann. Wie um das zu unterstreichen, wird das Lied hier nicht von Hitlerjungen erstmals angestimmt, sondern erwächst aus dem Volk, mitten bei einer Hochzeitfeier.

Lehrstück für die Gegenwart

Spohr, der in Oberhausen schon mit eindringlichen Deutungen von Musils „Törleß“ und Schnitzlers „Traumnovelle“ auffiel, macht aus dem Musical von John Kander (Musik), Fred Ebb (Songtexte) und Joe Masteroff (Buch) ein Lehrstück für die Gegenwart. Damals, im Berlin der frühen 30-er Jahre, war es letztlich auch eine Weltwirtschaftskrise, die den Boden für die Nationalsozialisten bereitete. Und „Cabaret“ ist denn auch hinter allem Nachtclub-Glamour, hinter allem Gesang- und Tanz-Entertainment, hinter all diesem letzten Aufbäumen der „Tollen Zwanziger“ ein eher trauriges Musical. Die Liebe zweier Paare, die so gut zueinander gepasst hätten, zerbricht zum einen durch unterschiedliche Vorstellungen der Lebensplanung, zum andern durch die plötzliche Angst vor der Ehe mit einem Juden.

Auch wenn die „Kleine Fassung“ des Stücks gegeben wird, so muss man doch den Mut des Theaters bewundern, „Cabaret“ fast ausschließlich mit dem eigenen Ensemble auf die Bühne zu bringen. Lediglich die erfahrene Musical-Darstellerin Vera Bolten wurde für die Rolle der Sally Bowles engagiert, des Stars im verruchten Kit Kat Klub, die sich in einen amerikanischenSchriftsteller (Sergej Lubic) verliebt. Jürgen Sarkiss wird mit rauer Sangesstimme und geschmeidiger Bewegung dem öligen Conférencier des Klubs mehr als gerecht, Klaus Zwick berührt stark in der Rolle des jüdischen Obsthändlers Schultz, der das neue Deutschland schmerzlich zu spüren bekommt. Otto Beatuspumpt derweil mit seiner sechsköpfigen Kit Kat Klub Band aus dem Dunkel des Etablissements enorme Spielfreude an die Rampe.

Zerfetzen der Nationalhymne

Am Ende bleibt von den vielen farbigen Leuchtschriften auf Andrea Heils Bühne nur ein kaltes „Arbeit macht frei“ übrig.Während es Jürgen Sarkiss mit der E-Gitarre Jimi Hendrix gleich tut und sich an das Zerfetzen der Nationalhymne macht. Langer, begeisterter Applaus.