Essen. „Ein plötzlicher Todesfall“, der erste Erwachsenen-Roman von Erfolgsautorin Joanne K. Rowling, begräbt alle Hoffnungen auf ein literarisches Leben nach dem Zauberjungen Harry Potter. Zu bemüht klingt die konfliktreiche Geschichte.

„Barry Fairbrother“, so beginnt J. K.Rowlings erster Erwachsenen-Roman „Ein plötzlicher Todesfall“, „wäre lieber zu Hause geblieben. Er hatte schon das ganze Wochenende Kopfschmerzen und wollte auf keinen Fall den Redaktionsschluss der Lokalzeitung verpassen.“ Den Redaktionsschluss wollten auch wir nicht verpassen, also musste Rowlings Buch an einem Tag gelesen und besprochen werden. Der Verlag hat es geheim gehalten und erst gestern geschickt – morgens um 9.30 Uhr das E-Book, mit der gebundenen Version klingelt der Paketbote um 10.17 Uhr an der Tür.

Der Anfang liest sich spannend. Barry, Anfang 40, Gemeinderat, seit 19 Jahren mit Mary verheiratet, schaut auf seine vier Kinder, und Rowling lässt uns keine Illusionen: „Sie saßen vor dem Fernseher, als sich Barry das letzte Mal von ihnen verabschiedete, und nur Declan, der Jüngste, drehte sich zu ihm um und hob kurz die Hand.“

Barrys plötzlicher Tod macht im kleinen Ort die Runde, man tratscht gern und wir lernen ein Paar nach dem anderen aus Pagford kennen, und auch den Jungen Andrew, dem eine ganze Menge Kraftausdrücke durch den Kopf gehen. Als hätte Rowling Spaß daran gehabt, endlich auch mal Wörter wie „Arsch“ schreiben zu dürfen. Andrews Schule hat so gar nichts mit Harry Potters zauberhaftem Hogwarts zu tun. Bevor Andrew auch nur das erste Mal zur Tafel blickt, lässt Rowling ihn an eine Mitschülerin denken und ihren „über der Trainingshose blitzenden Stringtanga“. Und dann liest man noch mehr Obszönitäten, Kraftausdrücke . . .

Und eine weitere Neuerung: die erste Sexszene der Harry-Potter-Autorin. Aber nach Erotik klingt das nicht, wie Rowling die Affäre zwischen Gavin und Kay beschreibt: „Kay schien sein ungewöhnliches Durchhaltevermögen für einen Beweis seiner Virilität zu halten.“ Man hat schon bessere Sätze von ihr gelesen. Später gibt es Sex neben Barrys Grab, ersten Halbstarken-Sex und die erotischen Mühen einer alten Ehe, ein Mann betrügt seine Frau, eine Frau betrügt ihren Mann – mit einem 16-Jährigen.

"Ein plötzlicher Todesfall" ist mitunter unübersichtlich

Es wird mitunter unübersichtlich in diesem Roman, wenn zu viele Leute auf einmal auftreten. Jedem widmet J.K. Rowling mehrere Absätze, gar Seiten. Schlimme Schicksale. Aber alles wie von fern, wenig berührend. Da sind einem Harry Potter und seine Freunde Hermine und Ron, ja selbst Schulleiter Albus Dumbledore und Halbriese Hagrid doch immer näher gewesen.

Es geht um den Konflikt der idyllisch wirkenden Kleinstadt mit der Siedlung Fields, lauter Sozialwohnungen, in denen in den Augen der wohlsituierten Bürger „Drogenabhängige und Sozialschnorrer“ leben. Deren Lebensverhältnisse beschreibt Rowling in klischeereichen Wendungen, der Tonfall klingt oft so bemüht wie der einer gänzlich unerfahrenen Autorin: „Das Haus roch nach abgestandenem Essen, nach Schweiß und festgetretenem Dreck.“ Trotz Drogensucht, Methadontherapie, verwahrlostem Kind und Prostitution aber wird eine Fields-Bewohnerin von einer Sozialarbeiterin beneidet: „Im Moment . . . ist sie glücklicher als ich.“ Miss Rowling – ist das Ihr Ernst?

Im kritischen Fokus des Buchs stehen die Mittelklasse-Schichten dieser Gemeinde und ihr dünkelhaftes Verhalten. Ob J. K. Rowling, die ehemalige Sozialhilfeempfängerin, da eine alte Rechnung begleichen will? Die Bewohner von Rowlings englischem Heimatort Tutshill jedenfalls haben sich schon öffentlich von dem Roman distanziert, worauf die Autorin erklärte, genau so ein Verhalten sei ihr aus der eigenen Kindheit durchaus vertraut.

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Dem Buch fehlt es an Tiefe. Rowling hat einen Durchschnittsroman geschrieben, der trotz eines dramatischen Endes und der angedeuteten Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt, zwischen Frau und Mann den Leser weitgehend kalt lässt. Wegen der vielen Schimpfworte und der Vergewaltigungen sollte das Buch trotzdem niemals in einem Kinderzimmer landen. Rowling wollte so viel – und erreicht so wenig.

  • Joanne K. Rowling: Ein plötzlicher Todesfall. Carlsen Verlag, 575 Seiten, 24,90 Euro