Duisburg. . Die Ruhrtriennale inszeniert Carl Orffs selten gespielten „Prometheus“ im Duisburger Landschaftspark Nord mit dem Original-Text von Aischylos. Der aus Samoa stammende Regisseur Lemi Ponifasio enthält sich jeglicher Deutung. Das Ereignis sind das Orchester, der Chor und die Leistungen der Solisten.

Paradoxe Welt: Während John Cage zu seinem 100. Geburtstag als Über-Vater der Avantgarde gefeiert wird, versickerte der 30. Todestag von Carl Orff vor vier Monaten weitgehend unbemerkt. Die Ruhrtriennale würdigt beide Meister mit zwei ihrer komplexesten und anspruchsvollsten Werke. Fazit: Orffs „Prometheus“, der seit seiner Uraufführung 1968 ganze vier Mal inszeniert wurde, wirkte in der heftig umjubelten Premiere in der ausverkauften Kraftzentrale des Duisburger Landschaftsparks erheblich moderner, zumindest zeitloser als Cages Mammut-Collage „Europeras“.

Ob die sträfliche Reduzierung Orffs auf die populären „Carmina Burana“ damit aufgebrochen wird, bleibt dennoch zweifelhaft. Denn Orff macht es dem Publikum und den Künstlern nicht leicht. Im Stadttheater-Alltag werden sich die Antiken-tragödien des Bayern weiterhin kaum behaupten können. Erst recht nicht der „Prometheus“, bei dem Orff den altgriechischen Text von Aischylos zugrunde legte. Die Ruhrtriennale verzichtet zusätzlich auf deutsche Übertitel. Auf den ersten Blick eine Zumutung, da auch der aus Samoa stammende Regisseur Lemi Ponifasio nichts tut, um den Text zu konkretisieren oder gar zu illustrieren.

Exotisch anmutende Sprache

Fast zweieinhalb Stunden lang bleibt man den altgriechischen Worten des Aischylos hilflos überlassen. Vertrauend auf die rhythmische und klangliche Wucht der Sprache, die Wolfgang Newerla in der übermenschlich kräftezehrenden Titelrolle markant wie aus Stein meißelt. In der Tat erhält allein die exotisch anmutende Sprache eine eigene ästhetische und beeindruckende Note. Doch reicht das? Immerhin handelt es sich um ein Musiktheater, in dem Orff ausgedehnte, rezitierte Monologe mit rhythmisierten Passagen und wenigen melodischen Beilagen in ein Verhältnis setzt, wie es so konsequent und originell kein anderer Komponist des 20. Jahrhunderts wagte. Und da dürfte der Inhalt nicht weniger wiegen als der Klang des Wortes.

Ein Ereignis ist das Orffsche Orchester mit zwölf Schlagzeugern und einem unüberschaubar vielfältigen exotischen Instrumentarium, mit vier Klavieren und Harfen sowie sechsfacher Bläserbesetzung. Von neun Kontrabässen abgesehen verzichtet Orff auf Streicher. Obwohl auf der Bühne viel von Mitleid mit dem Schicksal des an den Fels geschmiedeten Prometheus gesprochen und gesungen wird, mildert Orff den harten, bisweilen brutalen und wie eine Druckwelle eruptiven Orchesterklang in keinem Takt. Als Alternative lässt er es schweigen. Doch nichts federt die Kraft der Auseinandersetzung zwischen dem Titanen und dem unsichtbaren Zeus ab.

Ponifasio enthält sich jeder konkreten Deutung

Aischylos thematisiert Prometheus‘ Fesselung durch Hephaistos und die Unbeugsamkeit, mit der er seinen Untergang in Kauf nimmt. In voller Gewissheit, wieder auferstehen zu müssen und dann die zusätzliche Qual durch den Leber-fressenden Adler erdulden zu müssen. Diese bekannte Fortsetzung der Story wird hier freilich nur angekündigt. Im Mittelpunkt steht die Standfestigkeit des Menschenfreunds Prometheus gegenüber der tyrannischen Menschenfeindlichkeit des Zeus. Und von niemandem, weder von seinen Verwandten noch den mitleidenden Okeaniden und erst recht nicht von dem zynischen Hermes lässt er sich umstimmen.

Ruhrtriennale 2012

Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Die Kunst-Baustelle Our CenturY im Rahmen der Ruhrtriennale an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der  Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser auf der Kunst-Baustelle Our CenturY an der Jahrhunderthalle in Bochum. © WAZ FotoPool
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Lemi Ponifasio enthält sich in seiner Inszenierung jeder konkreten Deutung. Am Beginn einer ins Unendliche verlaufenden Spielfläche in der 170 Meter langen Kraftzentrale verharrt Prometheus nahezu regungslos, während die anderen Figuren mitsamt des Okeaniden-Chors wie Schatten aus einer anderen Welt in ritueller Strenge durch den Raum schreiten. Dynamische Bewegungen werden spärlich eingesetzt, lediglich durch einige etwas rätselhafte Einlagen von Ponifasios Tanztruppe MAU. Eine Pantomime weist im Hintergrund auf die Wiedererweckung des Titanen an. Insgesamt verlässt sich Ponifasio ausschließlich auf die Kraft der Sprache und der Musik und reduziert das Werk somit auf ein halbszenisches Oratorium.

Riesenkompliment für Hauptdarsteller

Die Leistung der Solisten und der Damen des ChorWerks Ruhr sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die Textfülle im altgriechischen Original nicht nur zu lernen, sondern auch präzis zu artikulieren, grenzt an das Machbare. Riesenkompliment vor allem für Wolfgang Newerla als Prometheus mit seiner Riesenrolle, aber auch für die eindringlich singende Brigitte Pinter als klagende Io, Dale Duesing als Okeanos, Eric Houzelot als Hephaistos, David Bennent in der pointierten Sprechrolle des Hermes und alle anderen Beteiligten. Und einen Sonderapplaus verdient auch die Kölner „musikFabrik“, unterstützt von jungen Schlagzeugern des Ensembles SPLASH aus dem Dortmunder Orchesterzentrum. Selbst für so avantgarde-erfahrene Spezialisten bedeutet die Aufgabe eine besondere Herausforderung. Das gilt auch für den Dirigenten Peter Rundel, der mit Bravour den riesigen Apparat über die immensen Dimensionen des Raums zusammenhalten konnte.

Großer Beifall für eine außergewöhnlich beeindruckende Produktion eines ebenso außergewöhnlichen Werks, bei der der theatralische Gehalt durch die zeremonielle Regie und fehlende Übertitel allerdings geschmälert wird.

Weitere Aufführungen:1 8., 21., 23., 25. und 27. September, 20 Uhr. Dauer bis etwa 22.20 Uhr. Informationen: www.ruhrtriennale.de