Bochum. Bei der Ruhrtriennale waren zwei Choregrafien von Anne Teresa De Keersmaeker zu sehen. Beide Inszenierungen hatten in Avignon Premiere gefeiert, ihre Transferierung vom Papstpalast in die Industriekathedrale gelang. Nur das Wetter spielte nicht mit.

Auf jede Art künstlicher Beleuchtung verzichteten zwei Inszenierungen der belgischen Star-Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker. In der Jahrhunderthalle Bochum, vor einer gewaltigen Giebelwand mit Hochfenstern, spielten „En Atendant“ zu Sonnenuntergang und nur wenige Stunden später „Cesena“ zum Sonnenaufgang.

Beide Inszenierungen hatten in Avignon Premiere gefeiert, ihre Transferierung vom Papstpalast in die Industriekathedrale kann nur als gelungen beschrieben werden. Zwar spielte das Wetter nicht so mit, wie es sich die Macher womöglich erträumt hatten, doch in Ermangelung der Sonnenstrahlen leuchtete der musikalische Part der beiden Stücke umso heller.

„En Atendant“ lotete hochkonzentriert das Spannungsverhältnis Musik und Tanz aus. Im Fokus standen vermeintlich alltägliche Bewegungsmuster, oft gehen und schreiten, mal nebeneinander, mal miteinander. Poetische Kraft bekam das durch die Kombination mit der Ars Subtilior, einem Musikstil des ausgehenden 14. Jahrhunderts.

In der Morgendämmerung

Der stand auch im Mittelpunkt der Choreografie „Cesena“. Gestärkt mit einer vom Ruhrtriennale-Team offerierten Dashi-Brühe erlebte eine vollbesetzte Jahrhunderthalle um fünf Uhr in der Frühe eine Sternstunde. In der diffusen Morgendämmerung sangen und tanzten 19 Darsteller mit nachgerade hypnotischer Wirkung. Das innovative Vokalensemble „graindelavoix“ von Björn Schmelzer in Verbindung mit Keersmaekers Tanzensemble ROSAS riss die nimmermüden Zuschauer nach gut zwei Stunden zu begeisterten Ovationen hin. Die geradezu berückende Schönheit der vokalistischen Ensembleleistung traf auf eine zunächst nur in Schattierungen, dann in stetig wachsender Präsenz wahrnehmbare körperliche Visualisierung. Der Geist des fernen 14. Jahrhunderts wehte mächtig hinein in die Jahrhunderthalle zu Bochum. So viel Kunst, so viel Geschichte war selten in einer derart perfektionierten Konzentriertheit zu sehen.