Düsseldorf.. Erschlagende Phantasie um den armen Josef K. sowie Franz 1 und Franz 2: Der russische Regisseur Andrej Mogutschi und die Bühnenbildnerin Maria Tregubova inszenieren am Düsseldorfer Schauspielhaus Franz Kafkas „Prozess“ als dadaistisch-absurde Szenenfolge.
Bedenkt man allein die Anzahl der Stimmen im Kopf von Josef K., könnte es einen schaudern. Erst 30 Jahre ist er alt, und dann das: Kurz vor seinem Geburtstag landet er in einer Vorhölle, die surrealistischer Alptraum ist und Jüngstes Gericht. Am Morgen ist sein Zimmer in Schieflage geraten, alles rutscht, zwei Irre namens Franz 1 und Franz 2 hocken auf dem Schrank. Klamotten fliegen durch die Luft. Um K. herum deklamieren 60 Männer und Frauen in schwarzen Anzügen Gesänge vom Totenfluss. Überall scheinen sie zu sein. Im Foyer, auf der Treppe, im Zuschauerraum.
Ein Horrortripin bester Gesellschaft
So befindet sich K. auf seinem Horrortrip in bester Gesellschaft. Der russische Regisseur Andrej Mogutschi und Bühnenbildnerin Maria Tregubova haben ihm im Schauspielhaus mit sicherer Hand einen „Prozess“ bereitet, der dem bravsten Bürger den Angstschweiß auf die Stirne treiben dürfte.
Viele haben sich an Kafkas Romanfragment versucht. Bände voller Deutungen sind erschienen: religiöse, sozialpolitische, psychologische, sogar der Nationalsozialismus wurde zitiert. Aber dieser Kafka will nicht durchleuchtet werden. Josef K. wird eines Verbrechens angeklagt, das er nicht kennt. Er gerät in eine Justizmühle, der er nicht entkommen kann. Zur höchsten Instanz kann er nicht vordringen, er ist umzingelt von Stellvertretern. Am Ende wird er hingerichtet.
Mogutschi hat den Inhalt mit den Autoren Alexander Artemov und Dimitrij Yushkov verschlankt, in Bilder übersetzt und bringt ihn als Szenenfolge „nach Kafka“ auf die Bühne. Zugrunde liegt ein rein ästhetisches Konzept, konsequent verfolgt, erschlagend in seiner Fantasie. So wird der Abend zum Lobgesang auf die Bühnentechnik. Immer neue Ebenen tun sich auf. Schauspieler und Requisiten schweben an Trapezen, Böden öffnen sich. Umso ruhiger ist Josef K. Der finnische Schauspieler Carl Alm ist Außenseiter mit toten Augen, verstrickt in eine Schuld, die er nicht kennt, gehetzt von Gestalten des Unterbewussten.
Zwischen den Stämmen erbricht sich der Advokat im Nacktkostüm
Mogutschi mischt absurdes Theater mit der surrealistischen Welt des André Breton. Er macht Anleihen bei Malern, der Chor sieht aus wie einem Magritte-Bild entstiegen. Fliegen krabbeln als Schatten über die Wand, erst eine, dann Hunderte. Das alles erreicht seinen Höhepunkt, als K. den Advokaten um Hilfe bittet. Ein Wald fährt nach vorn, zwischen den Stämmen erbricht sich der Advokat im Nacktkostüm (Sven Walser). K. schwebt in einem Boot über einen Abgrund hinweg, es könnte der Fluss Styx sein, der die Welt vom Hades trennt. Im Hintergrund tanzt der Teufel mit der lüsternen Haushälterin Leni als schwarzem Schwan (Betty Freudenberg) einen Pas de deux.
Alles das ist viel, aber packend. Die „Parabel vom Türhüter vor dem Gesetz“ kommt pur und still daher, vorgetragen von Markus Danzeisen. Die Tür war offen, der Weg frei, die ganze Zeit. Doch Josef K. ging nicht hindurch. Er hat’s vergeigt. Mogutschi zeigt Erbarmen. Die Hinrichtung findet in Comicbildern per Leinwand statt. Andeutung, auch das ist eine Kunst.
Drei Stunden, eine Pause. Karten: 0211/369911, www.duesseldorfer-schauspielhaus.de,