Bonn. . Menschen aller Zeiten und Kontinente wollten das Unheimliche bannen. Die Bonner Bundeskunsthalle zeigt über 250 Formen, in denen das geschah: „Narren, Künstler, Heilige“ präsentiert Masken, Kostüme und Fetische verschiedener Zeiten und Kulturen - ein frisch errichteter Voodoo-Altar inklusive.

Einmal Karneval im Jahr ist zu wenig, deshalb braucht die Gesellschaft von heute den Künstler. Der soll als eine Art Quartalsirrer die Verhältnisse durcheinanderwirbeln, soll irritieren, bewegen, befremden, bestürzen. Sonst, so behauptet es die neue Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle, erstickt diese Gesellschaft an ihren Gewohnheiten, rostet ein im Alltagsbetrieb und verschläft die nötige Erneuerung. „Narren, Künstler, Heilige“, so der Titel der Schau, zeichnet einen Stammbaum von den Schamanen über die Eremiten und komischen Heiligen bis zu den Künstlern von heute.

„Meister der Unordnung“

Sie alle seien als „Meister der Unordnung“ unentbehrlich, die Zauberer und Medizinmänner der Urzeit-Gesellschaften genau wie die „komischen Heiligen“ des Mittelalters, die sich auf den 2. Korinterbrief des Apostels Paulus beriefen, als „Toren um Christi willen“ dastehen wollten und nachts beteten. Mit ihren Ritualen bekämpften diese gesellschaftlichen Außenseiter das Unheil, wie ein Blitzableiter geben sie der Unordnung eine Gestalt. Angesichts der Betriebsamkeit aber, mit der Maler, Bildhauer und Fotografen heute den Kunstmarkt bedienen, steckt in dieser Ahnenlinie allerdings eine gewisse Idealisierung.

Wegen der über 250 spektakulären Masken, Götterfiguren und Schamanen-Kostüme aber, mit der die steile These belegt werden soll, lohnt die Reise nach Bonn allemal. 3000 Jahre Menschheitsgeschichte werden hier in größtmöglicher Munterkeit abgeschritten. Mit dem altägyptischen Fratzenzwerg Bes etwa, der auf Betten eingeschnitzt war, weil er, der Clown unter den Nil-Göttern, auch als Schutzmacht galt. Oder mit der mordsgroßen, anderthalb Meter langen Rabenschnabelmaske aus Holz, die sich die Kwakwaka’wakw-Indianer in Kanada schnitzten, um das Böse zu bannen.

Voodoo-Altar aus Lehm, Blut und Tierschädeln

Empfangen werden die Besucher von fünf fantastischen, so gar nicht lustigen Karnevalskostümen, mit denen man in der Schweiz, in Österreich, Bulgarien und Sardinien dem Teufel eine Gestalt gab. Alle Kulturen der Welt kennen derartige Figuren, von der griechischen Antike über Indonesien bis Brasilien, von der Windmacher-Maske der Eskimos bis zu den mongolischen Gurtum-Kostümen, in denen sich die Priester in Trance tanzten, mit gewagten Drachen-, Wellen- und Gebirgsmustern.

In den Gestaltungen des Unheimlichen tobte sich menschliche Kreativität aus, heftiger als überall sonst. Im Bonner Museum ist das sogar zu riechen. Denn hier hat Azé Kokovivina, der „Priester mit dem irren Lachen“ aus Lomé, der Hauptstadt von Togo, einen Voodoo-Altar aufgeschichtet, aus Lehm, Blut und mehreren Tierschädeln, Federn und Eierschalen kleben daran, Palmöl und vier verschiedene Gin-Sorten sind dabei eingeflossen, die leeren Flaschen stehen ringsum.

Und einmal führte sich, abgesehen von Joseph Beuys, der den Eurasienstab schwang und dem toten Hasen die Bilder erklärte, tatsächlich eine moderne Künstlerin wie ein Schamane auf: Die amerikanische Tänzerin und Choreografin Anna Halprin schrie und grunzte und zeterte bei einer Tanz-Performance Anfang der 70er-Jahre, als wolle sie sich den gerade diagnostizierten Darmkrebs aus dem Leib brüllen. Selbst als Video-Aufnahme geht das im Museum durch Mark und Bein. Und Anna Halprin hat gerade ihren 92. Geburtstag gefeiert.

Narren Künstler Heilige. Lob der Torheit. Bis 2. Dezember, Bundeskunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4. Di/mi: 10-21 Uhr, do-so 10-19 Uhr. Eintritt: 9 €, erm. 6 €, Familien: 15 €. Katalog: 29 €.