London. Neil MacGregor ist Boss des berühmten British Museum in London. Ein Rundgang durch das Haus, in dem Fundstücke der Menschheitsgeschichte von Asien bis Afrika gehortet werden, brachte ihn auf eine Idee. Er schrieb „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“. Das Buch ist nicht nur in England ein Erfolg.

Es gehört zum Menschen, dass er in Dingen eine Welt sieht. Man zeige einer Greisin die Puppe ihrer Kindheit: Es wird der Erinnerung kein Ende sein. Im großen Stil, dem der Weltgeschichte, hat Neil MacGregor daraus ein Buch gemacht, das in England zum Bestseller wurde. In Deutschland geht der 2-Kilo-Wälzer in die dritte Auflage. Er erzählt: „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“.

MacGregor ist Chef des Britischen Museums. Diesen Hort globaler Kulturgeschichte hat der clevere Brite, der 2010 als erster überhaupt den internationalen „Folkwang-Preis“ erhielt, aus einem Blickwinkel durchforstet. Er wählte 100 Dinge aus, die die Welt geprägt haben, den Zenit berühmter Kulturen markierten oder so brillant einfach gerieten, dass man sie Jahrtausende kaum veränderte. In diese Gruppe gehört der Kochtopf. Mag das selbst wenig Gebildeten keine Überraschung sein, so ist doch MacGregors kundige Einbettung der eigentliche Coup. Am Beispiel des 17000 Jahre alten Gefäßes aus Japan beschreibt er unterhaltsam, aber wissenschaftlich nie unter Preis, wie die Menschheit ans Kochen kam. Wahrscheinlich ist Japan sogar die Wiege der Suppe.

Erzählungen von der Zeit, den Zwängen, den Zielen

Einen Spagat meistert der Kunsthistoriker grandios: Zwar ist seine Liebe zu den Kostbarkeiten Text für Text spürbar. Doch begeht er nicht den Fehler, sich in ästhetischen Pirouetten zu verlieren. Immer führt er den Gegenstand auf den Menschen zurück, der ihn erschuf. Er erzählt von seiner Zeit, ihren Zwängen, ihren Zielen.

„Denjenigen, der diesen Faustkeil fertigte, hätten wir als einen der unseren anerkannt“, sagt Mac Gregor über einen spitz geschlagenen Stein aus Afrika. Gut 1,2 Millionen Jahre alt – und sein Schöpfer einer von uns?! Mit solchen Sätzen ködert der Wissenschaftler, dessen BBC-Kulturvermittlung längst Kult ist, seine Leser mühelos. Auch helfen die sehr kurzen Kapitel (mit großem Bild stets um die fünf Seiten) und griffige Kapitelzeilen („Begegnung mit den Göttern“/“Wie wir Menschen wurden.“).

Ein Pfefferstreuer illustriert das Leben auf der Flucht

MacGregor kommt mit Schachfiguren auf den Krieg, Dürers „Rhinceros“ wird gepanzerter Zeuge des Aufstiegs der Seemächte, und ein Pfefferstreuer aus dem vierten Jahrhundert spricht Bände über eine Familie auf der Flucht.

Das vorletzte Objekt ist eine Kreditkarte. Der Faustkeil unserer Tage? Oder nur Ding gewordener Beleg dafür, dass in jedem zivilisatorischen Fortschritt auch die Gefahr der Pleite lauert? Bildung jedenfalls, das zeigt dieses Buch, ist eine sehr erfreuliche Anlage. Und sei sie für den Gabentisch: In viereinhalb Monaten ist Weihnachten.

Neil MacGregor: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten. C.H.Beck, 816 Seiten, 159 farb. Abb., 39,95€