Berlin. . Der Ratsvorssitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, hat die heilsame Wirkung der Musik betont. Gleichzeitig forderte er die Menschen zu einem barmherzigen Umgang miteinander auf – gerade in der Anonymität des Internets. Das Kölner Beschneidungs-Urteil hält er für „verfehlt“.
Was wäre die Reformation ohne Musik gewesen? Ohne Lieder, die plötzlich nicht nur jeder mitsingen durfte, sondern die – weil auf Deutsch, statt auf Latein – auch jeder verstand? Diesem Erfolgsfaktor Musik spürte am Donnerstag Abend der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der rheinische Präses Nikolaus Schneider, beim traditionellen Johannisempfang der EKD in Berlin nach.
„Die Reformation war auch eine Musikbewegung“, betonte er vor hochrangigen Vertretern aus Staat, Kirche und Gesellschaft – darunter Bundespräsident Joachim Gauck, zahlreiche Bundesminister und Politiker aller Bundestagsfraktionen. „Mit musikalischen Klängen erreichten die reformatorischen Einsichten nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen der Menschen.“
Anhand des bekannten Kirchenlieds von Paul Gerhard „Geh aus mein Herz und suche Freud“, argumentierte Schneider, dass gerade ein so heiteres Lied entgegen aller Krisenstimmung Zuversicht stiften könne, und zwar damals wie heute. „Wir brauchen – gerade in Krisenzeiten – den Ton und den Klang der Freude über die Schönheit der Schöpfung Gottes in unseren Herzen“, sagte der Präses auch mit Blick auf die politischen Beratungen zum Euro-Rettungsschirm am Freitag in Berlin, in die zahlreiche der Zuhörer eingebunden sind.
Musik könne „unsere Anspannung, unsere Ängste und unsere Traurigkeit überwinden helfen.“ Doch zum Singen brauche es nicht nur Herz, sondern auch Verstand. Jedenfalls könne es – auch in der Kirche – nicht darum gehen „berechtigte und begründete Klagen, Zweifel und Tränen der Menschen mit frommen Lob- und Dankliedern wegsingen zu wollen, so Schneider.
Schöne Musik erinnere aber auch daran, „dass ohne einen offenen Himmel über uns die Welt sehr eng wird“, erklärte der Präses. Wer aber keinen Himmel über sich kenne, der mache menschliche Urteile zur letzten Instanz. „Menschen verlieren sinnvolle Maßstäbe aus den Augen und können zwischen Wichtigem und Nebensächlichem nicht recht unterscheiden.
Das geschieht nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Raum.“ Im eher politischen Teil seiner Rede kritisierte der Präses denn auch das Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung eines muslimischen Jungen trotz Einwilligung der Eltern als Körperverletzung eingestuft hatte. Er halte dieses Urteil für „verfehlt“, sagt Schneider und fragte: „Welches Signal geht denn weltweit davon aus, in Deutschland ein strafrechtliches Beschneidungsverbot einführen zu wollen?“
Zudem wandte sich Schneider gegen eine „Atmosphäre des Bloßstellens, des Niedermachens, des Draufschlagens auf Geschlagene“, während die Bibel doch dazu auffordere, das „geknickte Rohr“ nicht auch noch zu brechen. Gerade die Anonymität des Internets halte er „in diesem Zusammenhang eher für einen Problembeschleuniger als für einen Freiheitsort“, erklärte Schneider.
Ein „shitstorm“ sei „doch weithin eine hochstilisierte Brutalität in Wort und Sache, die mit einem zivilisierten Freiheitsbegriff nichts zu tun hat“, mahnte der Präses. Vor diesem Hintergrund gewinne die Aufforderung Jesu Christi, miteinander barmherzig umzugehen, eine ganz neue Aktualität.