Essen. . Gedanklich ist die Inszenierung von Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ am Essener Aalto Theater ein Wurf, szenisch nur stellenweise. Dabei hat Regisseurin Jetske Mijnssen den Stoff mit viel Mut umgedichtet.
Zuletzt befreit der Tod in Mozarts „Entführung aus dem Serail“ von der angedrohten Folter. In der Essener „Entführung“, umgedichtet von Jetske Mijnssen, könnte mit dem Tod eher die innere Einsamkeit der Konstanze enden: Die Reisetasche ist ihr Attribut – und mit dieser macht sie sich am Ende auf den Weg, allein. Wohin? Wird am Aalto nicht verraten.
Es ist einiges anders als sonst in der „Türkenoper“ Mozarts – viele Zuschauer reagierten mit Buhs. Osmin ist kein pluderhosiger Haremsaufseher, sondern ein Choleriker, der unverstellt Gefühle zeigt. Blondchen nimmt deswegen ihn statt den vom Mohrenland schwärmenden Pedrillo. Der Bassa Selim spielt nicht als Märchen-Orientale das großmütige Menschen-Ideal der Aufklärung, sondern ist ein moderner Mann um die Vierzig. Mit seiner Geliebten wünscht er sich in eine „neue, bessere Welt“.
Wenig vom Wien des Jahres 1782
Da steckt wenig aus dem Wien von 1782 drin, umso mehr aus den einsamen Lebensräumen einer bindungsängstlichen Generation von 2012. Menschen, die ihre erste Liebe schon lange hinter sich haben und sich zurückträumen in unversehrte Räume des Fühlens.
Mijnssen packt in ihrem „Entführungs“-Experiment mutig zu. Die weißen Räume von Sanne Danz öffnen sich weit nach hinten, reproduzieren Leere. Dialoge sind umgearbeitet, manchmal banalisiert. Mijnssen will etwas über Menschen erzählen, die etwa so alt sind wie sie selbst. Auf der Bühne feiert man den 40. Geburtstag des Bassa. Aber der fühlt das „Chaos“ in sich. Und zeigt am Ende keinen Großmut, sondern Wurstigkeit: Sollen sie doch gehen, die Verliebten. Ist ihm so was von egal …
Gedanklich ist die Inszenierung ein Wurf, szenisch nur stellenweise. Es fehlen Spannungsbogen und Linie. Personen wie Blonde oder Belmonte sind unerklärt; der Bassa von Maik Solbach bleibt ein blasser Typ im Tonfall eines TV-Moderators. Musikalisch sorgt Christoph Poppen für eine Mozart-Sternstunde: Den Essener Philharmonikern gelingen filigrane Detailarbeit wie spannende Zusammenhänge. Simona Saturova hat als Konstanze Beweglichkeit und Substanz, wenn auch die Stimme wenig flexibel ist. Bernhard Berchtold verzaubert als Belmonte mit lyrischen Wundern. Roman Astakhov singt zu schlank-metallisch für den Osmin. Christina Clark (Blondchen) und Albrecht Kludszuweit (Pedrillo) bestätigen das hohe Niveau des Aalto-Ensembles.