München. Zwei Auftritte hatten am Samstagabend beim Eurovision Song Contest in Baku besondere Klasse: der gesangliche der späteren Siegerin Loreen und jener von Anke Engelke. Sie schickte als einzige Vertreterin eines Teilnehmerlandes bei der Punktevergabe kritische Worte nach Aserbaidschan - und erntet dafür viel Lob.

Der Sieg für Roman Lob war in weiter Ferne, trotz seines tollen achten Platzes. Aber am Ende hat neben Schweden auch Deutschland bei diesem Eurovision Song Contest (ESC) in Aserbaidschans Hauptstadt Baku gewonnen. Denn in der von Politik konsequent frei gehaltenen Fernsehshow zeigte Anke Engelke Aserbaidschans mit eiserner Hand herrschenden Präsidenten Ilham Alijew vor geschätzt 120 Millionen Fernsehzuschauern in Europa lächelnd die Zähne. Wie Engelke die Punktevergabe mit einem politischen Statement verband, hatte Klasse - ebenso wie zuvor künstlerisch der Auftritt der Siegerin Loreen.

Beim ESC ist es Tradition, dass jedes Teilnehmerland einen Moderatoren bekannt geben lässt, an wen sein Land wieviele Punkte vergeben hat. Normalerweise sind dabei nur warme Worte zu hören. Als 38. der 42 Teilnehmerländer vergab Deutschland die Punkte, und auch Engelke gab sich charmant. Ihre Botschaft an Aserbaidschan fiel aber eindeutig zweideutig aus.

Dutzende Festnahmen von Regierungskritikern in den Tagen vor dem ESC

Nach einem freundlichen Dank an die Gastgeber sagte Engelke: "Heute Abend konnte niemand für sein eigenes Land abstimmen. Aber es ist gut, wählen zu können. Und es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf Deiner Reise, Aserbaidschan. Europa beobachtet Dich." Ein Glanzlicht in der 57. Ausgabe des Wettbewerbs.

Obwohl bei den Demonstrationen gegen den harten Kurs von Präsident Alijew in den vergangenen Tagen Dutzende Menschen festgenommen wurden, schien die PR-Strategie der Regierung in Baku nämlich aufzugehen: Die Fernsehshow war perfekt und ohne Engelkes Auftritt hätte sie auch nach Paris, London oder Berlin gepasst. So aber dürften einige Zuschauer daran erinnert worden sein, dass hinter Bakus schöner Fassade eklatante demokratische Defizite stecken.

Lobeshymnen auf Anke Engelke

Anke Engelke jedenfalls erntete mit ihrem politischen Kommentar zu Aserbaidschan regelrechte Lobeshymnen im Internet. Ihre Kritik am Regime würdigten Nutzer im Minutentakt als "genial", "cooles Statement" und "grandios". Auf ihrer Facebook-Seite schrieb etwa Frank Fieselmann: "anke...ich könnte dich knutschen" und Gerner Hahn Sørensen sendete "Liebe Grüssen und Respekt aus Dänemark".

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Im Kurznachrichtendienst Twitter wurde die Wortkombination "Anke Engelke" noch in der Nacht zu einem der am häufigsten verwendeten Wortkombinationen im deutschen Teil des Netzwerks. Twitter-Nutzer Nils kommentierte am Sonntag: "Wirklich gut gemacht, in einem eher faden ESC, der aalglatt war. Gut untergebracht."

Auch Fernsehkollegen zollten Engelke Respekt. Nela Panghy-Lee, die bei "Pro Sieben" das Boulevardmagazin "taff" moderiert, kommentierte auf Twitter: "Anke Engelke hat einfach Format". Im Medienblog Carta schrieb Autorin Vera Bunse: "Die deutsche Punkte-Verkünderin Anke Engelke hatte als Einzige die Nerven, eine höflich verpackte Spitze gen Baku zu schicken", bemerkte aber zugleich: "Betrüblich, dass andere Kommentatoren die Möglichkeit nicht genutzt haben."

Loreen zeigte Solidarität mit der Opposition in Aserbaidschan

Die spätere Siegerin Loreen war die Teilnehmerin, die sich am offensivsten mit der Opposition in Aserbaidschan solidarisiert hatte. Am Mittwoch traf sie Vertreter der Organisation "Sing for democracy". Ein starkes Signal - und ähnlich stark fiel auch der Auftritt der 28-Jährigen mit ihrem Lied "Euphoria" aus: Loreen holte mit 372 Punkten die zweithöchste Punktzahl in der Geschichte des Wettbewerbs nach dem Norweger Alexander Rybak 2009.

Die britischen Buchmacher hatten Loreens Sieg erwartet und lagen auch mit den folgenden Plätzen richtig. Auf dem zweiten Platz folgten wie prognostiziert die russischen Großmütter Buranowski Babuschki mit ihrer "Party for Everybody". Das Lied hatte zwar nur begrenzt mit Musik zu tun, mit ihrem sympathischen Auftritt holten die Omas aber Punkte. Auf Rang drei landete ebenfalls wie erwartet der Serbe Zeljko Joksimovic.

"Unser Star für..."-Konzept angeblich auf der Kippe

Bei der Bekanntgabe der Abstimmung schien es vorübergehend so, als würde dagegen Roman Lob eine Pleite drohen. Lange lag der Deutsche weit zurück, die angestrebten Top Ten schienen in weiter Ferne. Doch mit andauernder Bekanntgabe der Voten läpperte sich das Punktekonto des 21-Jährigen. Der achte Platz bedeutete am Ende die zweitbeste Platzierung eines Deutschen in den vergangenen zwölf Jahren. "Top Ten ist super", freute sich Lob - den Platz hatte sich der bei einem Vorentscheid im Februar ausgewählte Newcomer durch einen sehr gut gesungenen Auftritt redlich verdient.

Doch obwohl sich die Auswahl des deutschen Starters durch eine Castingshow damit bewährt hat, steht das "Unser Star für... "-Konzept angeblich auf der Kippe. Die Einschaltquoten des Vorentscheids waren mau, und auch das ESC-Finale am Samstagabend wollten deutlich weniger Menschen in Deutschland sehen als in den vergangenen zwei Jahren die Auftritte von Lena Meyer-Landrut. Nur noch 8,29 Millionen Deutsche schalteten ein - bei Lenas zehnten Platz in Düsseldorf vor einem Jahr waren es 13,89 Millionen, bei ihrem Sieg in Oslo vor zwei Jahren sogar 14,69 Millionen.

Falls es ein Protest mit der Fernbedienung gegen die Regierung in Baku war: Im nächsten Jahr gibt es wieder einen politikfreien ESC, das Finale wird nach Loreens Sieg am 18. Mai im vorbildlich demokratischen Schweden stattfinden. (afp/dapd)