Baku. Das Finale des Eurovision Song Contest ist komplett: Am Donnerstag zog auch die von Buchmachern favorisierte Schwedin Loreen in die nächste Runde. Lena Meyer-Landrut trat im zweiten ESC-Halbfinale als Gastsängerin auf.
Die Konkurrenten für Roman Lob im Finale des Eurovision Song Contest 2012 stehen
fest: Am Donnerstagabend sicherten sich im zweiten Halbfinale in Baku zehn
weitere Kandidaten einen Platz in der Endrunde am Samstag (26. Mai). Damit ist
das Teilnehmerfeld im Finale komplett. Chancen auf den ESC-Sieg hat unter anderen die schwedische Sängerin
Loreen ("Euphoria") die von britischen Buchmachern hoch gehandelt wird.
Auch die Teilnehmer aus der Türkei, Norwegen, Litauen, Bosnien und
Herzegowina sowie Serbien ersangen sich im zweiten Semifinale ein Ticket für das
Finale, bei dem 26 Kandidaten antreten. Mit dabei sind zudem die Ukraine,
Mazedonien, Estland und Malta.
Das Voting von Fernsehzuschauern aus rund 20 Ländern und ebenso
vielen nationalen Jurys zählte je zur Hälfte. Im zweiten Halbfinale waren auch
die Fernsehzuschauer aus Deutschland abstimmungsberechtigt.
Lena als Gastsängerin beim ESC
Bei der Show stand auch die ESC-Gewinnerin von 2010, Lena Meyer-Landrut, auf der
Bühne: Sie war als Gastsängerin dabei und präsentierte als Zwischenact ihren
Siegertitel von Oslo, "Satellite". Neben Lena traten die früheren Gewinner
Ell/Nikki aus Aserbaidschan (2011), Alexander Rybak aus Norwegen (2009), Dima
Bilan aus Russland (2008) und Marija Serifovic (2007) aus Serbien auf. Am Ende
präsentierten die fünf gemeinsam den ABBA-Gewinnersong von 1974, "Waterloo".
Moderator würgt politische Frage bei ESC-Pressekonferenz ab
Politische Fragen sind bei der Pressekonferenz nach dem zweiten ESC-Halbfinale in Baku in der Nacht zu Freitag
unerwünscht gewesen: Als eine Journalistin die schwedische Sängerin Loreen
darauf ansprach, dass sie sich doch mit Oppositionsvertretern getroffen habe,
würgte der Moderator der Veranstaltung die Frage ab. Loreen selbst hielt sich
zurück und betonte, sie wolle sich an dieser Stelle auf den Eurovision Song
Contest (ESC) konzentrieren.
Die Austragung des Wettbewerbs in Aserbaidschan hat eine heftige
Debatte über die politische Situation in der ehemaligen Sowjetrepublik in Gang
gesetzt. Von Menschenrechtlern kam massive Kritik an Demokratiedefiziten in dem
Kaukausstaat. Am Donnerstag griff die aserbaidschanische Polizei abermals hart
gegen friedliche Demonstranten durch und nahm Dutzende von ihnen fest.
125 Millionen Fernsehzuschauer für Roman Lob und seine Konkurrenten
Am Samstagabend werden schätzungsweise wieder rund 125 Millionen Menschen in
Europa vor dem Fernseher sitzen, um sich das Finale des Eurovision Song Contest
(ESC) anzusehen. Während sich über die Qualität
der Lieder durchaus streiten lässt, ist der Wettbewerb damit unbestreitbar eine
der erfolgreichsten Fernsehshows Europas.
Für den ESC, der nach dem Vorjahressieg
des aserbaidschanischen Duos Ell und Nikki in diesem Jahr in Aserbaidschans
Hauptstadt Baku ausgetragen wird, haben sich 42 Länder angemeldet. Von diesen
mussten 16 in den beiden Halbfinals bereits wieder die Segel streichen. 26
werden am Samstag im Finale gegeneinander antreten.
Wer der Sieger der 57. Auflage des seit 1956 ausgetragenen ESC wird, entscheidet je zur Hälfte eine Jury und das
Publikum: Die fünf Juroren und die Zuschauer jedes Teilnehmerlandes dürfen bis
auf den Vertreter ihrer eigenen Landes über alle Finalisten abstimmen.
Roman Lob geht beim ESC mit Startnummer 20 ins Rennen
Die Juroren vergeben ihre Punkte bereits am Freitag in einer eigenen
Jury-Show. Die Zuschauerabstimmung beginnt, wenn alle Länder ihre Beiträge
vorgetragen haben - der Deutsche Roman Lob geht dabei mit Startnummer 20 kurz
vor Schluss ins Rennen. Das Lied mit den meisten Stimmen in der Abstimmung
erhält dabei zwölf Punkte, das zehntbeliebteste Lied noch einen Punkt. Aus der
Addition der Punkte aller Länder ergibt sich der Sieger.
In welcher Sprache die Künstler ihre Lieder vortragen, ist ihnen seit
1999 freigestellt. Die meisten singen inzwischen auf Englisch. So tat es auch
Lena Meyer-Landrut bei ihrem Sieg 2010 mit "Satellite". Es war der erst zweite
deutsche Sieg, den ersten hatte Nicole 1982 mit "Ein bisschen Frieden"
geholt.
Nicole und Lena konnten die CDs mit ihren Siegerliedern auch
international gut verkaufen. Nicole war danach allerdings nur noch national als
Schlagersängerin erfolgreich, bei Lena muss sich die weitere musikalische
Karriere noch weisen. Viele Sieger des Wettbewerbs waren nie wieder so
erfolgreich wie mit ihrem Siegerlied. Große Ausnahmen sind ABBA, die nach ihrem
Sieg 1974 mit "Waterloo" zu Weltstars wurden. Auch Céline Dion, die 1988 für die
Schweiz gewann, verdankt ihren internationalen Durchbruch dem ESC.
Glamour gegen Menschenrechtskritik
Die Kristallhalle am Kaspischen Meer ist das neue Wahrzeichen der
aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Stolz zeigen Spaziergänger auf das
hochmoderne Konzertgebäude, das für den Eurovision Song Contest (ESC) in Rekordzeit errichtet wurde. Arbeiter pflanzten
am Dienstagabend noch Blumen ein, als schon Gäste in feiner Garderobe zum ersten
Halbfinale erschienen. Für die Regierung ist das Pop-Event am Samstag eine
einmalige Chance, vor 125 Millionen Fernsehzuschauern weltweit zu glänzen. Doch
die breite internationale Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen
verärgert die Führung.
In der bisher östlichsten Gastgeber-Stadt des jährlichen
Schlagerfestivals ist das Eurovisionslogo allgegenwärtig. Es prangt auf der
neuen Flotte der schwarzen Taxis ebenso wie auf den Bildschirmen der
Metrobahnsteige. Hinter der Kristallhalle ragt ein riesiger Flaggenmast 162
Meter in den Himmel. Auf der anderen Seite der Bucht wurden für umgerechnet 278
Millionen Euro die drei so genannten Flame Towers hochgezogen, die nachts ein
synchronisiertes Lichtspektakel mit den Flaggen aller ESC-Teilnehmerländer bieten.
Verantwortlich für die Turbo-Modernisierung der Hauptstadt ist
Präsident Ilham Alijew, der das Land seit 2003 mit eiserner Hand regiert.
Finanziert wird der Bauboom mit Gewinnen aus dem Ölgeschäft. Die Straße vom
Flughafen in die Stadt führt an Bohrtürmen vorbei, die Luft riecht nach Öl. Der
mehrheitlich islamische Staat hat außerdem strategische Bedeutung durch die
Pipelines, die Gas auf die europäischen Märkte bringen.
Auch viele Einwohner sehen den Song Contest als Chance, ihrer Stadt
zu mehr internationaler Aufmerksamkeit zu verhelfen. "Wir sehen viele Touristen
hier, wir sehen, dass sie unsere Stadt, unser Land mögen", sagt die 18-jährige
Jurastudentin Ajgun stolz. Kakma Koguaschwili, Mitarbeiter eines
Verkehrsunternehmens, lobt die Arbeiten für das Mega-Ereignis: "Es gab eine
Menge Veränderungen, um den ESC richtig
auszurichten. Viel wurde gebaut, neue Straßen, neue Gebäude, riesige
Hotels."
Aktivisten sehen PR-Kampagne gescheitert
Die glitzernden Fassaden sollen über die Kontroversen im Vorfeld des
Turniers hinweg täuschen. Nach Oppositionsangaben nahm die Polizei am
Wochenanfang bei ungenehmigten Kundgebungen 40 Menschen fest. Mehrere sollen
geschlagen worden sein. In den vergangenen Wochen machten Berichte über eine
aserbaidschanische Journalistin Schlagzeilen, deren Recherchen über die
Geschäfte der Präsidentenfamilie mit einem heimlich über sie gedrehten Sexvideo
gestoppt werden sollten. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human
Rights Watch sind zurzeit mindestens 18 Journalisten und Aktivisten in Haft.
Präsidialamtsvertreter Ali Hasanow reagierte Anfang der Woche empört:
Vorwürfe von Amnesty International und Human Rights Watch seien haltlos und
erfunden. "Wenn diese Organisationen so weiter machen, laufen sie Gefahr, das
Vertrauen der Bürger von Aserbaidschan zu verlieren, weil die Leute hier sehen,
dass dies nichts zu tun hat mit der eigentlichen Lage im Land", sagte Hasanow.
Insbesondere die Berichterstattung deutscher Medien nannte er "negative,
anti-aserbaidschanische Informationspolitik".
Bürgerrechtler erklären die Charmeoffensive dagegen bereits für
gescheitert, die dem größten kulturellen Ereignis seit der Unabhängigkeit der
ehemaligen Sowjetrepublik vorausging. "Die falsche PR-Kampagne der
aserbaidschanischen Behörden hat nicht funktioniert", sagt Rasul Dschafarow von
der Kampagne "Sing for Democracy", die neben der Popmusik auch die Politik ins
Zentrum der Aufmerksamkeit rücken will. Ob das reicht, um Reformen anzustoßen,
ist fraglich: Der Regierung sei ihr Image zwar wichtig, sagt Lawrence Sheets von
der Denkfabrik International Crisis Group. Doch der Reichtum des Landes erlaube
es der Führung, ausländische Kritik weitgehend an sich abtropfen zu lassen. (dapd/afp)