Essen. . Die Zahl der Bewerber lag im dreistelligen Bereich, nun kämpfen noch acht um die Gunst der Jury: Essen ruft Dramatiker aller Generationen auf, das beste Stück zu schreiben. Am 14. April wird der Sieger bekanntgegeben. Ihm winkt der Einzug in den Spielplan.

Der arbeitslose Godehard hat es endlich geschafft: Herbert hat ihm einen festen Job als Würstchenverkäufer auf einem seiner Imbisswagen angeboten. Alles ist gut, bis Godehard seinen Gönner dabei erwischt, wie er halbtote, schleimgammelige Rohbratwürste „reanimiert“. Fortan quälen den Arbeitnehmer wilde Alpträume, sein Hirn durchwabbeln grausame Bilder. Das Gewissen will sich einfach nicht abschalten lassen.

So in etwa schreitet der Konflikt voran, den Hartmut Musewald in seinem Theaterstück „verpiss dich gewiss“ beschreibt. Es ist eine von acht dramatischen Arbeiten, die nun in der Endausscheidung des Wettbewerbs „Stück auf!“ stehen, den das Essener Theater ausgeschrieben hatte und dessen Sieger nun am 14. April verkündet wird. „Widerstehen!“ war als Motto vorgegeben, passend zum Schwerpunktthema der laufenden Spielzeit. Die Resonanz war riesig: 170 hoffnungsvolle Autoren reichten ihre Arbeiten ein, keineswegs nur Jungdichter, allesamt aber noch mit wenig Aufführungshistorie gesegnet.

Anwälte des Publikums

„Das szenische Schreiben hat angefangen zu boomen“, beschreibt Essens Chefdramaturgin Vera Ring die Situation. Das wachsende Angebot an Schreibwerkstätten zeige nun Wirkung. Wohl auch, was Themenwahl und Stückaufbereitung angeht. Geschrieben wird vorrangig, was die Dramatiker bewegt, die sich hier wohl auch als Anwälte des Publikums sehen. „Selbst Farcen sind mittlerweile vertreten, sogar Volksstückhaftes ist dabei“, rekapituliert Ring den mühseligen Ausleseprozess.

Eigentlich hatte man annehmen können, dass die Theater derzeit gerade deshalb zuhauf auf Filmvorlagen oder Romanadaptionen zurückgreifen, weil sie in der Gegenwartsdramatik zu wenig fündig wurden, um ihren Spielplan attraktiv zu gestalten. Vera Ring will das aber so nicht stehen lassen, sieht darin kein Zeitphänomen: „Das Theater hat immer schon auf fremde Stoffe zurückgegriffen, hat andere Künste mit einbezogen. Das ist uralt.“ Das Theater zeige damit seine „unerhörten Möglichkeiten“, sich Stoffe anzueignen und mit ihnen umzugehen.

Mit Anfang und Ende

Sie gibt aber auch zu, dass gerade in Romanen ein dramatischen Potenzial vorhanden sei, das „die große Sehnsucht des Publikums nach klaren Geschichten mit Anfang und Ende“ befriedige. Eine „epische Seuche“ habe das die FAZ mal gegeißelt.

In der Tat ist das deutsche Theater auch immer ein Spiegelbild seiner Subventionierung, was theatralische Experimente mit Textflächen, chorischem Sprechen und fehlendem Drama immer wieder möglich macht.

In anderen europäischen Ländern hat man schon allein mit Blick auf die Einnahmenseite sehr viel weniger Scheu vor Unterhaltung. „Jerome Savary hat einmal gesagt, dass am deutschen Theater die Unterhaltung eine Unter-Haltung sei“, zitiert Vera Ring.

Mit giftigen Attacken

Wer sich die Stücke anschaut, die sich in Essen in der Endrunde befinden, der spürt eine deutliche Veränderung hin zu Ironie, Satire und giftiger Attacke. Nora Schüssler etwa lässt in „Abwasser“ ihre Familienkonflikte in einer atomverseuchten Zone spielen, treibt mit Entsetzen Scherz und lässt am Ende auch noch einen Pädophilen mit der minderjährigen Tochter des Hauses entkommen.

„Wir schweben wieder“ von Charlotte Roos knüpft eine Art Reigen seltsamer Zeitgenossen, konfrontiert uns mit einer ehemaligen Hochseilartistin, die nun als Stripperin würdevoll an der Stange tanzt. Oder mit einem Mann, der plötzlich eine seltsame Affinität zu den Hornbrillen seines Vaters entwickelt.