Miami/New York. Die einzigen Tondokumente des „Eisernen Kanzlers“, die auf einer Phonographen-Wachswalze erhalten waren, konnten mit digitaler Technik wieder hörbar gemacht werden: Der damals 74-jährige Fürst rezitierte Gedichte auf Latein, Englisch und Deutsch – und die französische Nationalhymne. Chef der Bismarck-Stiftung spricht von einer Sensation.
Es ist eine akustische Auferstehung, mit der niemand mehr gerechnet hatte. Wissenschaftler aus Indiana und Berlin haben jetzt die einzige existierende Tonaufnahme des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck aus dem Jahr 1889 identifiziert. Die Forscher staunten nicht schlecht: Der Ur-Preuße zitierte seinerzeit Gedichte auf Latein, Englisch und Deutsch und, zur großen Verwunderung, auch Passagen der französischen National-Hymne.
Gelungen war die Rekonstruktion, nachdem in einer Kammer des früheren Labors von Thomas Alva Edison, Erfinder der Glühbirne etc., in West Orange/New Jersey, mehrere Wachswalzen entdeckt und untersucht worden waren. Sie stammten aus einem Phonographen. Jenes Ding mit Trichter, Membran und Stichel, das den Vorgänger von Tonbandgerät und Cassetten-Recorder darstellt.
In diese Grammophon-ähnlichen Apparate sang bereits Enrico Caruso. Dabei wurden Schallwellen zunächst in Stanniol geritzt, später nahm man Wachs. Ließ man die Nadel erneut durch die so entstandenen Rillen gleiten, gab die Membran über den Schalltrichter ein Rauschen und Krächzen aus, dessen Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Klang durchaus zu erkennen war.
Edison hatte seinerzeit den deutschstämmigen Techniker Adelbert Theodor Edward Wangemann angestellt, um den Phonographen unter die Leute zu bringen. Als Marketing-Maßnahme ging der Soundtüftler 1889 nach Europa, um prominente Stimmen aufzunehmen; darunter auch den damals 74 Jahre alten Bismarck samt Gattin in dessen Schloss in Friedrichsruh.
Bisher waren von den so genannten Wangemann-Zylindern nur Live-Aufnahmen von Brahms’ erstem „Ungarischen Tanz“ überliefert, der Rest blieb stumm. Fortgeschrittene Digitalierungstechnik macht es seit kurzem möglich, die Schätze zu heben. Ulrich Lappenküper, Direktor der Bismarck-Stiftung, sprach gegenüber der New York Times gar von einer „Sensation“.
Dass Bismarck bei den Aufnahmen sogar die „Marseillaise“ anstimmte, wo Preußen doch mit dem „Erbfeind“ Frankreich ewig und drei Tage kriegerisch über Kreuz lag, entlockte den Musikhistorikern ein Schmunzeln. Wenn das der Kaiser wüsste.