Essen. . Johannes Heesters ist tot. Der Schauspieler starb im Alter von 108 Jahren im Klinikum seines Wohnortes Starnberg. Heesters, der vielen Menschen unter seinem Spitznamen “Jopie“ bekannt war, stand seit 90 Jahren immer wieder auf der Bühne.

Manche Erinnerungen prägen sich ein. Da ist zum Beispiel eine Filmszene aus dem nun auch schon zweieinhalb Jahrzehnte alten Klamaukstreifen „Otto – Der Film”: Ein Penner bewahrt den Blödelbarden vor der Todsünde, einen erlesenen Rotwein wie ein Pils aus der Pulle zu trinken und demonstriert noch im Rinnstein, was Lebensart ist. Der Penner war Johannes Heesters.

Bordeaux statt Bier, Kavier statt Kotelett – wenn Stil und Kultivierheit je einen Bühnennamen hatten, dann den des ewigen Charmeurs aus dem holländischen Amersfoort. Über acht Jahrzehnte hat er seine überwiegend weibliche Fangemeinde begeistert: Generationen, so scheint es, von Großmüttern, Müttern, sogar von Enkelinnen.

Spitzbübig lächelnd und mit sorgsam gepflegtem holländischen Akzent

Als er seine zweite Frau Simone Rethel heiratete, war er 89, sie 43. Das ist zwar eine ganz andere Geschichte; immerhin erzählt sie viel von seiner Ausstrahlung noch zu einer Zeit, als die Hilfsmittel seiner Magie – der Frack, der geschwenkte Zylinder, der verwegen geschlungene weiße Schal – eigentlich längst der Vergangenheit angehörten und normalerweise nur belächelt worden wären.

In dieser Klinik starb Heesters
In dieser Klinik starb Heesters

Niemanden störte, dass seine Stimme irgendwann den Weg zur Legendenbildung nicht mehr mitgegangen war. Wenn der Tenor, spitzbübig lächelnd und mit sorgsam gepflegtem holländischen Akzent, losschmeichelte, dann schmolzen die Herzen.

Als Privatmann lebte er eher zurückgezogen

Johannes Heesters, erst von Freunden, dann von fast allen Jopie genannt, war als ewiger Galan, der die Hände schöner Frauen wohl so oft geküsst hat wie kein Mann vor ihm, ein lebender Atavismus. Heesters wusste das sehr wohl, doch das störte ihn umso weniger, als die Rolle des Bonvivant für ihn eben genau das war: eine Rolle.

Als Privatmann lebte er eher zurückgezogen: in seiner ersten Ehe mit der belgischen Opernsängerin Louise Ghijs (aus der die Töchter Wiesje und Nicole hervorgingen), dann mit Simone Rethel. Ein Mann, erfüllt von der Sehnsucht nach dem privaten, bürgerlichen Glück. Dass er es gefunden hatte – wer wollte es bezweifeln. 1936 war Jopie als Tenor an die Komische Oper Berlin gekommen.

1936 versetzte er als Bettelstudent Symon das Kinopublikum in Begeisterung

Die Reichshauptstadt kürte ihn rasch zum Publikumsliebling, und bald war klar: Da war endlich der ersehnte Topstar, der den festgefahrenen Karren des Unterhaltungsfilms flottmachen konnte. Die Attraktivität reiner Operettenverfilmungen hatte nachgelassen; viele Komponisten der großen Operetten-Ära (Paul Abraham, Oscar Strauss) durften nicht mehr aufgeführt werden.

Der neue Revue-Film entsprach eher dem Zeitgeschmack, wobei die Verbreitung der Tonfilmschlager durch Funk und Platte zu einer kommerziellen Wechselwirkung führte. Heesters’ gute „Mikrophonstimme” passte genau ins Konzept. 1936 versetzte er erstmals als „manche zarte Bande” knüpfender Bettelstudent Symon das Kinopublikum in Begeisterung. „Hallo Janine”, „Illusion”, „Immer nur du” oder „Es fing so harmlos an” waren andere von Propagandaminister Goebbels geförderte Filme.

Heesters schwamm, wie andere, mit dem Strom

Diese „Ablenkungsfilme”, seine Beteiligung an der Truppenbetreuung und einen Besuch im KZ Dachau (wo er aber offenbar nicht sang) haben ihm seine Landsleute nie verziehen. Seinen Rückzug auf die Position des unpolitischen Künstlers ( „Ich habe immer nur an meine Arbeit gedacht”) mochte ihm niemand abnehmen. Dazu war er zu intelligent.

Heesters als Casanova - da war er 83 Jahre alt.
Heesters als Casanova - da war er 83 Jahre alt.

Heesters schwamm, wie andere, mit dem Strom und trieb, anders als andere, weit oben. Später hat er dann gern von seinem Krach mit Goebbels erzählt: als er sich weigerte, deutscher Staatsbürger zu werden. „Heut geh’ ich ins Maxim”: Lehár ließ ihn nicht los. Rund 3000 Mal schwang er als Graf Danilo in der „LustigenWitwe” das Champagnerglas – mit 30 und mit 100. Eine andere Paraderolle, wohl 1000 Mal gegeben: Der Honoré in dem Musical „Gigi”.

Rolle als melancholisch-tückischer Greis in den „Sunny Boys”

„Er kann den holden Schwachsinn der Operettenwelt auch denen, die diese Kunstgattung unerträglich finden, erträglich machen”, schwärmte Friedrich Luft. Obwohl er den Filmstudios und dem Musiktheater nie Ade gesagt hatte, fand die Begegnung mit ihm nach 1950 hauptsächlich im Fernsehen statt. Wehe, er übernahm eine reine Sprechrolle. „Das war wirklich schön”, hieß es dann, „aber schade, dass Sie nicht gesungen haben.”


Dabei hatte sich Heesters längst zum ernsthaften Charakterdarsteller entwickelt. Seine Rolle als melancholisch-tückischer Greis in den „Sunny Boys” gehört zu den schauspielerischen Glanzlichtern der späten 80er. Seinem Gegenüber Carl-Heinz Schroth bot er ebenso Paroli wie Marika Rökk, mit der er einst das Traumpaar des Unterhaltungsfilms gebildet hatte („Gasparone”, „Die Czardasfürstin”) und die privat gar nicht gut auf ihn zu sprechen war, weil er sich von der Ehrgeizigen, die nur vor der Kamera so herzenslieb war, partout nicht an die Wand spielen lassen wollte.

Simone Rethel war es, die ihm in den letzten Lebensjahren zusätzliche Kraft gab

83 Jahre jung war er, als er eine neue Paraderolle für sich entdeckte, mit der er jahrelang auf Tournee ging: die des greisen Casanova in Karl Gassauers Zwei-Personen-Stück „Casanova auf Schloss Dux” über die letzten Lebensjahre des legendären Verführers. Durch die Lande reisend näherte er sich auch seinem 100. Erst als in Würde gealteter (und von der Kritik gefeierter) Diener Firs in Tschechows „Kirschgarten”. Dann in Curth Flatows Komödie „Ein gesegnetes Alter”.

Mit der Produktion des Kudamm-Theaters machte er sich selbst ein Geschenk: Erstmals stand er zusammen mit seiner Ehefrau Simone Rethel auf der Bühne. Simone Rethel war es, die ihm in den letzten Lebensjahren zusätzliche Kraft gab - und die ihn leitete. Denn Jopie war fast völlig erblindet. Was ihn nicht davon abhielt, von neuen Bühnenprojekten zu träumen.

Daheim in Starnberg sich mit Gymnastik fit zu halten. Im Pool Bahnen zu schwimmen. Und den Tag, selten vor Mitternacht, bei einem Glas eines exzellenten Whiskys und einer Genuss-Zigarette ausklingen zu lassen. Kein schlechter Abschluss.