Bochum. . Einst war das Online-Geschäft die große Hoffnung für Nachwuchs-Musiker. Heute steht fest: Es bleibt schwer. Eine Fallstudie
Ob er von seiner Musik leben kann? „Zur Hälfte klappt das schon“, sagt Tommy Finke. Wenn er viele Konzerte spielt und die Verkäufe gut laufen, reicht das Geld aus der Musik auch für den Lebensunterhalt. Stehen gerade keine Auftritte auf dem Terminplan, ist Ebbe in der Kasse und der Bochumer Musiker muss sich mit Nebenjobs über Wasser halten.
Der 30-Jährige gibt nicht auf, Finke will von der Musik leben, jeder soll seine Musik hören und kaufen können. In welcher Form Musik zu den Ohren der Hörer vorstößt und wie dafür bezahlt wird, hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend verändert. „Die CD hat ja schon lange keine Berechtigung mehr“, sagt Finke, der den Niedergang des Tonträgers als Künstler miterlebt hat.
Arctic Monkeys punkten mit Myspace
Als Finke mit seiner Band „Stromgitarre“ im Jahre 2001 ernsthaft versuchte, mit Musik erfolgreich zu sein, kamen auch die Breitband-Internetverbindungen in die deutschen Haushalte. „Stromgitarre“ versuchte den altbekannten Weg: Konzerte spielen, Demos an Plattenfirmen verschicken, in der Hoffnung auf einen Plattenvertrag. „Wir haben gedacht, wenn etwas passiert, dann machen wir das nicht selber, dann kommt irgendwer und entdeckt uns“, erinnert sich Finke. Der Erfolg blieb aus, 2004 trennten sich die Jungs von „Stromgitarre“.
Wenig später sprengte eine britische Band das klassische Muster für den Weg zum Erfolg: die Arctic Monkeys. Ihre Demos verbreiteten sich 2005 im Internet, auf Tauschbörsen, im sozialen Netzwerk MySpace. Die Arctic Monkeys waren berühmt, noch bevor sie einen Plattenvertrag hatten, eine Single oder ein Album vorweisen konnten. Und MySpace wurde als Revolution im Musikgeschäft gefeiert – eine Plattform, auf der Musiker ihre Musik verbreiten und bekannt machen können, unabhängig von den Plattenfirmen.
Apple eröffnete 2004 in Deutschland seinen iTunes-Store
Tatsächlich brachte MySpace für die Arctic Monkeys nur den Stein ins Rollen. Wirklich Geld verdient hat die Gruppe erst, als sie sich unter die Obhut einer Plattenfirma, eines Labels, begab, das ihr Vorschüsse und Tantiemen zahlte, das Marketing und den Vertrieb übernahm.
Auch Finke nutzt das Internet, um mit wenig Aufwand ein neues Video oder einen neuen Song ins Netz zu stellen. Die Schattenseite: Auch seine Lieder und Alben werden hier illegal heruntergeladen. Verschenken will und kann Finke seine Musik aber nicht, er will ja davon leben. Also blieb er beim herkömmlichen Weg, nahm mit gespartem Geld eine CD auf und tingelte ab 2004 damit von Plattenfirma zu Plattenfirma.
Zugleich führte ein Digital-Konzern den Plattenfirmen die Zukunft im Musikgeschäft vor: Apple eröffnete 2004 in Deutschland seinen iTunes-Store, einen legalen digitalen Online-Musikvertrieb.
Lebensversicherung
Heute gibt es mehrere Verkaufsportale von Musik im Dateiformat, iTunes, Amazon und Musicload gehören in Deutschland zu den größten Anbietern. Sie haben sich ein Stück vom digitalen Kuchen geschnappt, denn das legale Online-Geschäft boomt. 2004 wurden laut dem Bundesverband der Musikindustrie 7,9 Millionen Alben und Einzeltitel zusammen online verkauft, 2010 waren es bereits 74,1 Millionen, Tendenz: steigend.
Für viele Künstler aber bringt das legale Online-Geschäft keine neue Freiheit, keine einfachen Verkaufswege für ihre Musik. Die Online-Portale machen nur Verträge mit Plattenfirmen oder digitalen Vertriebspartnern. Die Konditionen der Portale sind sehr unterschiedlich: Mal verlangen sie eine Gewinnbeteiligung an verkauften Songs, mal eine monatliche Grundgebühr, mal einmalige Gebühren für das Einstellen von Songs. Oder sie mischen die Bedingungen. Das alles sei „oft nicht transparent“, klagt Finke.
„Die CD ist für viele Musiker nur noch eine Art Trophäe“
Er selbst erhält bei seinem Dienstleister allerdings immer eine genaue Aufstellung. Aber nur, weil Finke inzwischen seine eigene Plattenfirma gegründet hat. „Retter des Rock“ heißt sie. Über dieses Label vertreibt er auch noch die Musik anderer Künstler, jedoch ausschließlich als Dateiformate, per Internet. „Für die Retoure einer CD aus dem Laden müsste ich vier Euro zahlen“, sagt Finke, das lohnt nicht: „Die CD ist für viele Musiker nur noch eine Art Trophäe“.
Finke arbeitet übrigens gerade an einer weiteren Trophäe für sich. Er will ein drittes Album aufnehmen. Das Werk ist die Lebensversicherung des 30-Jährigen, im wahrsten Sinne des Wortes. Zur Finanzierung des Albums hat er eine Lebensversicherung aufgelöst.