Gelsenkirchen. An Gelsenkirchens Musiktheater hat Elisabeth Stöppler Brittens Totenmesse „War Requiem“ zur Oper gemacht. Das Publikum feierte die Premiere mit Begeisterung.
Es lag epochenlang in der Natur der Sache, dass wirkungsvollen Kirchenkompositionen eine gewisse Theatralik nicht abzusprechen war. So haben sie denn auch Verdis „Requiem“ so bewundernd wie böse seine „schönste Oper“ bezeichnet.
Da ist der Schritt, den Elisabeth Stöppler an Gelsenkirchens Musiktheater wagt, kaum noch überraschend. Sie macht aus Benjamin Brittens „War Requiem“ Musiktheater, erzählt Geschichten, die es bei Britten nicht gibt, sucht szenische Entsprechungen.
Das Premierenpublikum feierte Stöpplers Britten-Deutung (die dritte nach „Peter Grimes und „Gloriana“) mit einhelliger Begeisterung. Es fällt nicht ganz leicht, dem Applaus zu 100 Prozent zu folgen. Tatsächlich hat die erst 34-Jährige einen oft anrührenden Abend geschaffen, der das Grauen, das Britten beschreibt, in vielen Momenten sehr klug dosiert und eben nicht inflationär verheizt.
Die Glotze spiegelt das Kriegsgeschehen
Doch entschied sich Britten trotz des Anlasses (die Vernichtung Coventrys durch deutsche Angriffe 1944) für eine überzeitliche Form. Er nutzte Gedichte des noch in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges schreibenden Wilfred Owen, um sich von der Anklage gegen den einen Hitler-Krieg zu lösen. Britten stellte das Versöhnen durch Kunst und Menschlichkeit weit über die reine Liturgie.
Stöppler aber sucht durchaus konkrete Zeit-Räume auf. Noch ehe die beiden Orchester (auf der Bühne agiert die Kammerformation, im Graben das größere Ensemble) uns in Brittens beunruhigend schillernde Klangwelt führen, lümmelt sich vor brüllendem Fernseher eine Durchschnittsfamilie unserer Tage auf dem Sofa. Die Weltkriege sind im Wohnzimmer angekommen; wir sitzen vor der Glotze, wenn es für andere ans Sterben geht. Doch schlafartig entzieht sich Stöppler plumpen Realismen: Ins Reich von Couch und Sweatshirt taumelt ein Schwerverletzter in Uniform – die Totenmesse ist mitten unter uns.
Fabelhafte Chöre
Nicht durchweg glückt ein geschlossener Abend, der Brittens Meisterkomposition gerecht wird, in der Wut und Ohnmacht, aber auch die fiebrigen Ängste aus Lazarett und Graben Musik geworden sind.
Aber er erreicht uns. Ganz sicher liegt das auch an seinen Klangqualitäten. Björn Waag als Soldat ist ein enorm beeindruckender Schmerzensmann, Petra Schmidt als Mutter gelingt eine beklemmende Allianz aus bitterer Klage und anmutigem Belcanto. Rasmus Baumann und Clemens Jüngling als Dirigenten schaffen großflächige Panoramen, wenn auch auf Kosten mancher Transparenz. Die Palme aber gebührt Chor und Kinderchor, die für diesen Abend ausnahmslos weit über sich hinaus gewachsen sind.