Gelsenkirchen. . Der Mann, der Teufel und die Großstadt: Der Gelsenkirchener Ballettchef setzt seinen letzten Tanzabend in Szene: „La Ville“

Am Ende dieser Spielzeit wird Bernd Schindowski in Gelsenkirchen Abschied nehmen, von seinem Ballett, das er mit seinem Namen und seiner Choreografie mehr als drei Jahrzehnte lang prägte. Für die letzte „richtige“ Premiere „La Ville – die Stadt“ am Musiktheater im Revier (der noch ein Jugend-Mitmach-Stück und eine große Ballett-Gala folgen sollen) hat sich der umtriebige Choreograf ein sehr eigenwilliges Stück ausgesucht. Ausgerechnet ein Werk des französischen Komponisten Pierre Henry, der weithin als Vater des Techno gilt, machte er zur Grundlage seines Abschiedsstückes. „Ich habe diese Komposition lange mit mir herumgetragen, seit ich sie zum ersten Mal gehört habe. Aber nie war die Zeit reif dafür“, erzählte Ballettchef Schindowski im Vorfeld. Jetzt, kurz vor seinem Ruhestand, ist offenbar die Zeit gekommen.

In seinem „La Ville“ lässt Schindowski einen einsamen Mann (Bogdan Khvoynitskiy) auf sein Leben zurück blicken und an seinen Selbstzweifeln zerbrechen. Zermürbt von den Geräuschen der Großstadt, die anfangs noch harmonisch an ihm vorbeirauschen und sich dann allmählich zur ohrenbetäubenden Geräuschkulisse steigern. Das alles gerät mehr zu einem Tanztheater als zum Ballett, Ensemble und Solo-Tänzerin Alina Köppen werden darin zu Randerscheinungen. Und doch trägt das Werk unverkennbar die Handschrift Schindowskis, die dem Publikum seit langem vertraut ist.

Babys brüllen, Züge rattern

Pierre Henrys doch eher ausgefallene Komposition verdeutlicht, wie eng es in einer Großstadt werden kann, wenn jedes noch so intime Geräusch wie selbst das Gluckern einer Klospülung durch die dünnen Wände dringt. Bernd Schindowskis Protagonist geht genau an dieser Wucht der Geräusche zu Grunde, als er sich diesen nicht mehr entziehen kann. Da brüllen Babys, da bellen Hunde, da rauschen Züge mit ohrenbetäubendem Geratter vorbei. Wie durchgedreht krümmt er sich im kargen Raum (den Bühnenbildner Johann Jörg puristisch in das kühle Yves-Klein-Blau des Musiktheaters im Revier getaucht hat), versucht der Hektik des Alltags zu entfliehen, doch das gelingt ihm nicht.

Rastlos tanzt ein kleiner roter Teufel (Min-Hung Hsieh geht für diese Rolle eindrucksvoll bis an seine körperlichen Grenzen) immerzu um ihn herum. Nur kurz lässt Bernd Schindowski an diesem Abend sein ganzes Ensemble in Erscheinung treten, um die Zerrissenheit des Hauptdarstellers zu transportieren.

Und erst ganz am Ende gelingt es dem einsamen Protagonisten, die Geräusche und die Leute, die um ihn herumtanzen, auszublenden, seinen eigenen Rhythmus wiederzufinden und in Ruhe alt zu werden. Ein Stück, das den Betrachter verstört zurücklässt. Die Stadt als Käfig, dem wir nicht entfliehen können. Bernd Schindowski wird dieser Stadt und auch dem Musiktheater im Revier den Rücken kehren. Doch seine getanzten Bilder bleiben.