Peking.

Sonntagnachmittag vor dem Nationalmuseum von Peking. In der Frühlingssonne schlendern Tausende chinesische Touristen durch das Zentrum der chinesischen Hauptstadt, umrunden den Tiananmen-Platz, fotografieren die gewaltigen Gebäude und immer wieder sich gegenseitig. Dort, wo noch vor kurzem die mächtige Statue des alten Konfuzius stand, ist nur noch das leere Fundament übrig: Der alte Staatsphilosoph verschwand vor wenigen Tagen so überraschend wieder, wie er Anfang Januar vor dem Nordeingang des renovierten Mu­seums aufgetaucht war.

Ein paar Meter weiter schickt ein Wachmann alle Besucher weg, die Einlass in die verschiedenen Ausstellungen begehren: Dazu gehört eine Politschau über die jüngste Geschichte („Große Er­neuerung Chinas“) ebenso wie Kunstwerke des Buddhismus, Sammlungen alter Bronzen und Keramiken und die „Kunst der Aufklärung“.

Diese – hier meistens nur schlicht „deutsche Ausstellung“ genannte – Schau von fast 600 Gemälden, Skulpturen und anderen Stücke aus den drei staatlichen Museen in Berlin, Dresden und München ist es, die in der deutschen Öffentlichkeit Streit ausgelöst hat. Die Berliner Regierung und deutsche Firmen haben sie mit rund zehn Millionen Euro finanziert.

„Dürfen wir damit alle anderen Ausstellungen auch sehen?“

Umstritten sind aber nicht die vorwiegend aus dem 18. Jahrhundert stammenden Exponate. Zum Politikum wurde die „Kunst der Aufklärung“ angesichts der Tatsache, dass Chinas Regierung – ganz gegen den Geist der Aufklärung – kritische Bürgerrechtler und Künstler wie den Literaturwissenschaftler Liu Xiaobo und den Aktionskünstler Ai Weiwei ins Gefängnis wirft oder verschwinden lässt.

Auf die Frage nach einer Ticketkasse stutzt der Wachmann kurz und verweist auf einen anderen Eingang direkt gegenüber dem Tiananmen-Platz: „Versuchen Sie es da mal.“ An dem Gebäude verrät kein einziges Plakat oder Transparent, was hinter seinen hohen Säulen und schmiedeeisernen Pforten gezeigt wird. Der Ne­beneingang ist mit ein paar Nachfragen nicht schwer zu finden. Die Besucher, Chinesen jeden Alters, rücken peu a peu vor, nach einer Viertelstunde haben die Sicherheitsleute die Handtaschen zweimal kontrolliert, der Ticketschalter ist erreicht.

„Kunst der Aufklärung“ steht auf dem Billett. Es kostet 30 Yuan, soviel wie eine Kinokarte, und zeigt das Programmbild der Aufklärungsausstellung, die blonde Heinrike Dannecker, 1802 gemalt vom deutschen Maler Gottlieb Schick. „Dürfen wir damit alle anderen Ausstellungen auch sehen?“, fragt ein Studentenpärchen und erfährt: „Ja natürlich, das gilt für alle.“

Streit? Nichts gehört

Alle Ausstellungen sind gut besucht, in den drei Räumen der „Kunst der Aufklärung“ stehen gut zweihundert Menschen vor den Bildern und Vitrinen. Manche eilen schnell vorbei, die meisten studieren die Erklärungstexte, viele unterhalten sich. Eine Mutter führt ihr sechsjähriges Kind zu den Modellen einer Giraffe und der Camera Ob­scura – Beispiele für die wissenschaftlichen Entdeckungen jener Epoche. Zwei junge Touristinnen aus Wuhan in Zentralchina fotografieren einander vor einer Büste des Gelehrten Alexander von Humboldt. „Mir gefällt das hier“, sagt eine, „besonders die Porträts der Menschen aus jener Zeit, sie geben einem ein gutes Gefühl, sie sind irgendwie wahrhaftig.“ Ein Studentenpärchen aus Peking ist gekommen, weil „man selten die Gelegenheit hat, solche wertvollen Gemälde aus dem Ausland bei uns zu sehen“. Auch sie haben zuvor die Räume der „Großen Erneuerung Chinas“ und klassischen Kunstwerke besichtigt. Vom Streit über die „Kunst der Aufklärung“ haben sie nichts gehört. Am Verkaufsstand mit Ausstellungsandenken sind seit Anfang April 20 chinesischsprachige Kataloge zum Preis von fast 100 Euro verkauft worden.

Plötzlich taucht auch der alte Konfuzius wieder auf: Durch die hohen Fenster im Norden des Foyers ist die Statue zu sehen. Sie steht nun, versteckter als früher, im Innenhof des Museums. Niemand schien sie zu beachten.