Berlin. Michael Jary und Bernd Balzer prägten Schlager- und Filmmusik über Jahrzehnte. Das würdigt der Dokumentarfilm „Im Schatten der Träume“.
„Kann denn Liebe Sünde sein? Darf es niemand wissen, wenn man sich küsst?“ Die Melodie geht sofort ins Ohr und der Text ins Herz. Nein, das kann natürlich keine Sünde sein, denkt das Publikum denn auch gleich. Aber wenn das Lied mitten im Nationalsozialismus von einer androgynen Frau mit tiefer Stimme gesungen wird und der Autor dieser Zeilen ein verfolgter Homosexueller ist, bekommt das eine ganz andere Bedeutung.
Eine stete Spiegelung von Gestern und Heute prägt den Film
Diese gewisse Ambivalenz und Doppeldeutigkeit zeichnet all die Lieder aus, die der Komponist Michael Jary und der Liedtexter Bruno Balz zusammen geschrieben haben. „Davon geht die Welt nicht unter“, noch so ein Zarah-Leander-Hit, sollte ein Durchhalteschlager im Bombenkrieg sein, konnte aber auch anders interpretiert werden und den Nationalsozialismus selber meinen. Und doch wurden die Lieder gefeiert und mitgesungen. Obwohl Balz wegen seiner Homosexualität für Monate in Haft saß. Und Jary seinen Liedern jenen Swing gab, den die Nazis eigentlich verfemten.
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Komponisten sind eher unsichtbar, Autoren von Liedtexten noch viel mehr. Berühmt sind nur die Interpreten. Michael Jary hat es nach dem Krieg dank Fernsehshows zu Popularität gebracht. Aber die großartige und unfassbar produktive Zusammenarbeit des erfolgreichsten Duos des deutschsprachigen Schlagers und Kinos über vier Dekaden wird endlich einmal richtig gewürdigt in dem schönen Dokumentarfilm „Im Schatten der Träume“ von Martin Witz. Von den alten Ufa-Zeiten bis zu Heidi Brühls „Wir wollen niemals auseinandergeh’n“ und Heintjes „Mama“ wird ihr ganzes Schaffen aufgezeigt.
Und das in einer schönen steten Spiegelung. Es gibt Ausschnitte aus alten Ufa-Filmen der 30er-, 40er- und Revuefilmen der 50-er-Jahre. Filmemacher Witz hebt auch Schätze aus den Archiven, wenn Jary und Balz im Fernsehen erzählen, wie sie in Berlin im selben Haus in der Fasanenstraße wohnten und einander immer an die Decke und auf den Boden klopften, wenn sie neue Ideen hatten. Bis die Polizei kam.
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Das wird aber immer auch in der Gegenwart reflektiert. Witz begibt sich auf Spurensuche in Berlin. Jarys Tochter Micaela etwa erzählt von ihrem Vater, Rainer Rother von der Deutschen Kinemathek ordnet das filmhistorisch ein, Götz Alsmann interpretiert Jarys Weisen, die mit dem Original gegengeschnitten werden, und die heute 94-jährige (!) Bibi Johns schaut sich selbst als blutjunges singendes Mädel zu. So bleibt die Dramaturgie immer dynamisch, polyperspektivisch und sehr persönlich.
Jary & Balz: Eine Allianz fürs Leben
Eine Wanderung durch zwei großartige Karrieren, die es eigentlich nie hätte geben sollen. Weil Jary als ursprünglicher Neutöner den Nazis genauso suspekt war wie der schwule Balz. Aber das Volk sollte unterhalten und abgelenkt werden. Und das konnte halt keiner besser als sie. Sie waren, was selbst ihrem Star Zarah Leander entgangen sein soll, Meister des Subversiven. Und eine Allianz fürs Leben.
Dokumentarfilm, Deutschland 2025, 80 min, von Martin Witz