Berlin. Sex und Sehnsucht: 100 Jahre nach ihrem Erscheinen verlegt Florian Frerichs Arthur Schnitzlers Skandalgeschichte nach Berlin.
Was ist da eigentlich in der letzten Nacht geschehen? Jacob (Nikolai Kinski) und Amelia (Laurine Prince) haben gerade das gemeinsame Kind zu Bett gebracht, nun können sie darüber sprechen. Sie hatten zusammen einen Club besucht – maskierte Menschen, viel Leder und nackte Haut. Jacob war von zwei jungen Frauen angeflirtet worden, wenn man eine unverblümte Aufforderung zum Sex so nennen will. Auch Amelie hatte sich mit einem anderen Mann auf der Tanzfläche wiedergefunden. Danach waren sie wieder nach Hause gefahren und hatten miteinander geschlafen, zum ersten Mal seit Monaten.
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Ein Pärchen mit unerfüllten Wünschen und Begierden. Und eine Geschichte, die vor 100 Jahren zum ersten Mal erschien, als Arthur Schnitzler seine „Traumnovelle“ in der Berliner Modezeitschrift „Die Dame“ kapitelweise veröffentlichte. Regisseur Florian Frerichs bleibt ihr im Wesentlichen treu und verlegt nur die Handlung aus dem Wien der Zwischenkriegszeit ins gegenwärtige Berlin.
Jacob (der bei Schnitzler Fridolin heißt) tritt einen Selbsterkundungstrip in die Nacht an, an dessen Wegesrand allerlei merkwürdige Gestalten auf ihn warten. Es beginnt mit der Tochter eines langjährigen Patienten (Nike Martens), die sich Jacob nach dessen Tod an den Hals wirft, obwohl doch ihr Mann (Rodney Charles) gleich eintreffen wird. Jacob entgeht nur knapp einer peinlichen Situation und irrt durch die Straßen, um in einer rot ausgeleuchteten Bar die Prostituierte Mizzi (Nora Islei) zu treffen. Er geht mit ihr auf ein Zimmer, aber die gegenseitigen Annäherungsversuche schlagen fehl.
In einer Villa am Wannsee gehen seltsame Dinge vor sich
In einer Kneipe erzählt ihm wenig später sein Freund Nachtigall (Bruno Eyron) von einer exklusiven Privatparty am Wannsee, an der man nur maskiert teilnehmen dürfe. Jacob ist elektrisiert und fährt hin. In der Villa vor den Toren der Stadt finden sadomasochistische Rollenspiele statt – doch auch etwas Größeres ist im Gange, eine Art heidnischer Kult mitsamt Menschenopfer, dessen Zeuge Jacob wird.
Schnitzlers Novelle ist die Inspektion eines erotischen Schattenreichs, in dem vieles angedeutet und kaum etwas vollzogen wird. Stanley Kubrick nutzte sie 1999 zu seinem letzten Spielfilm „Eyes Wide Shut“ mit Nicole Kidman und Tom Cruise, die damals noch verheiratet waren. Florian Frerichs vertraut auf vergleichbare Stilmittel wie der große Regisseur: viel Film-Noir-Atmosphäre im mal gediegenen, mal verruchten Ambiente, gelegentlich aufblitzende nackte Haut und Frauen, die drastische Worte im Munde führen.
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Weil das heute längst nicht mehr so provokant ist wie noch vor Jahrzehnten, ist der Film nicht ohne Längen, auch sein Einsatz computergenerierter Bilder bleibt nur visuelles Muskelspiel. Sehenswert ist er vor allem durch die schauspielerische Leistung Nikolai Kinskis, der seiner Figur ein faszinierend rätselhaftes, stilles Charisma verleiht. Und im Kostümverleiher Gibiser trifft man mit Detlev Buck einen alten, angenehm kauzigen Bekannten.
Erotikthriller, Deutschland 2024, 109 min., von Florian Frerichs, mit Nikolai Kinski, Laurine Price, Nora Islei, Detlev Buck