Berlin. In seiner zweiten Regiearbeit schickt Jesse Eisenberg zwei Cousins auf schwierige Mission. Und inszeniert das traumwandlerisch leicht.

Anfangs kann man kaum entscheiden, welcher der beiden Cousins neurotischer ist. David (Jesse Eisenberg), der den Unwägbarkeiten des Lebens mit einem Übermaß an Planung entgegenzutreten versucht. Oder Benji (Kieran Culkin), der sich selbst als ein rebellischer, stets gegen den Strom driftender Geist sieht, aber eher wie ein trotziger kleiner Junge rüberkommt.

Jesse Eisenberg überlässt den spannenderen Part Kieran Culkin

Sie sind am Flughafen verabredet. David stellt sich darauf ein, dass sein freiheitsliebender Cousin sich verspäten wird und gibt ihm zahlreiche Hinweise, wie er das vermeiden kann. Aber als er pünktlich am Gate ankommt, sitzt Benji bereits da – und irgendwie ist David das auch nicht recht. Die Reise wird also nicht ganz einfach werden.

„A Real Pain“ ist die zweite Regiearbeit des US-Schauspielers Jesse Eisenberg, an dessen eindrucksvoll verdruckste Verkörperung von Mark Zuckerberg in „The Social Network“ (2010) man sich in diesen Tagen mit fast nostalgischen Gefühlen erinnert. Sein neuer Film erzählt, wie David und Benji gemeinsam nach Polen fahren, um sich auf den Spuren ihrer Vorfahren zu bewegen. Es war der Wunsch ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter, dass sie ihr Geburtshaus aufsuchen.

Lesen Sie auch: Gerechtigkeit wird zur Verhandlungssache:„Juror #2“ von Clint Eastwood

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Wie es dem Organisationsbedürfnis von David entspricht, haben sie für den größeren Teil des Trips eine Reisegruppe gebucht, eine „Jewish Heritage Tour“, die sie unter Führung des Briten James (Will Sharpe) an wichtige Stätte jüdischen Lebens bringen wird. Dass es dabei auch immer wieder um Schmerz gehen wird, versteht sich auf betroffen machende Weise von selbst. Die Ernsthaftigkeit, mit der James das seiner kleinen Schar ankündigt, hat dennoch etwas Berührendes. James bekennt auch, dass er selbst zwar kein Jude, dafür aber von der „jüdischen Erfahrung fasziniert“ sei.

Immer etwas daneben reagieren, immer die falschen Fragen stellen

Die Zusammensetzung der Reisegefährten ist überhaupt etwas anders, als man vielleicht erwartet. Da gibt es Marcia (Jennifer Grey), die noch an ihrer kurz zurückliegenden Scheidung nagt und in Polen ihrer Mutter Ehre erweisen will, die genau wie Davids und Benjis Großmutter die Schrecken der Konzentrationslager überlebt hat.

Die Vorfahren des Rentnerehepaars Diane (Liza Sadovy) und Mark (Daniel Oreskes) sind lange vor dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert, weshalb Mark seine Familie scherzhaft als „Mayflower-Juden“ ausgibt. Eloje (Kurt Egyiawan) schließlich ist ein Überlebender des Völkermords in Ruanda, der erklärt, im Übertritt zum Judentum Trost gefunden zu haben. Benji reagiert auf Elojes Vorstellung gleich schon so direkt wie unangemessen mit einem emotionalen „Oh snap!“.

Lesen Sie auch: Katharina Thalbach & Corinna Harfouch: „Mit 70 darf man auch mal faul sein“

London Film Festival 2024 - 'A Real pain' Special Presentation Arrivals at Royal Festival Hall, Southbank, London
Kieran Culkin und Jesse Eisenberg bei einer Präsentation ihres Films auf dem BFI London Film Festival im Oktober. © picture alliance / Photoshot | Pa

Es ist Benjis Lebensrolle, das begreift man bald: immer etwas daneben zu reagieren, falsche Fragen zur falschen Zeit zu stellen, sich launisch zeigen, wenn andere zu fröhlich sind, und umgekehrt. Er hat keinen Filter, nennen es die Amerikaner, er spricht, ohne über die Wirkung seiner Worte groß nachzudenken. Das bereitet besonders seinem Cousin die titelgebende „Pain“, aber fast am Ende dieses mit 90 Minuten mal endlich eher zu kurzen als zu langen Films erklärt er den Mitreisenden die Kompliziertheit seiner Gefühle für Benji: „Ich liebe ihn und ich hasse ihn, ich will ihn umbringen und ich will sein wie er.“

Der Regisseur hält mit traumwandlerischer Sicherheit die Balance

Das Tolle an Eisenbergs Film ist, wie gut man David an dieser Stelle versteht. Benjis Nervigkeit nämlich, seine unnachahmliche Art, anzuecken und sich nicht an übliche Schweigegebote zu halten, entpuppt sich als großes Talent, falsche Gemütlichkeiten zu zerstören.

Wenn er etwa anzweifelt, ob es sich richtig anfühlt, mit einem Erste-Klasse-Ticket in ein zur Gedenkstätte umfunktioniertes Konzentrationslager zu fahren, einen Weg, den ihre Vorfahren in Viehwaggons gezwängt ertragen mussten. Oft sind es auch einfachere, profanere Vorfälle, in denen sein Verhalten für Peinlichkeit sorgt, aus denen dann aber neue, für die große Diversität der menschlichen Erfahrung viel offenere Situationen entstehen.

Das ist das Wunder, das dieser kleine Film mehrfach vorführt und dabei mit einer geradezu traumwandlerischen Sicherheit die Balance zwischen schweren Themen wie dem Holocaust und der Leichtigkeit eines amerikanischen Low-Budget-Indie-Films hält.

Tragikomödie, USA 2024, 90 min., von Jesse Eisenberg, mit Jesse Eisenberg, Kieran Culkin, Will Sharpe, Jennifer Grey