Herne. Der Herner Metal-Star hat sein Leben aufgeschrieben. Darin verrät der Wacken-Veteran auch, warum er in seinem Haus Skelette hortet.

Auf dem bekanntesten Heavy-Metal-Festival der Welt, dem Wacken Open Air, gehört die Metal-Band Rage aus Herne seit vielen Jahren zu den Stammgästen. Mittlerweile ist Peavy den Anblick von 80.000 Zuschauern vor der Bühne aus gewohnt und kann es genießen, vor so einer großen Masse an Menschen zu spielen. Zu seinen Anfangszeiten sah das aber noch ganz anders aus, erinnert sich der Musiker im Interview. Außerdem erzählt er, warum alte Knochen um ein Haar dazu beigetragen hätten, dass es Rage nie gegeben hätte.

Peavy, Du kommst aus Herne, wo auch musikalisch für dich alles losging. Erinnerst Du dich noch an Deinen ersten Auftritt mit Deiner ersten Band?

Peter „Peavy“ Wagner: Ja, klar! Die Band hieß „The Dark Lights“ und wir waren erst 15 Jahre alt, also noch Teenager. Es gab damals in Herne eine Szenekneipe in einem umgebauten Weltkriegsbunker, in der abends oft Punk-Bands auftraten. Tagsüber durften meine Kumpels und ich da proben. Und wir hingen natürlich auch rum, um mal ein Bierchen zu trinken, Konzerte zu gucken und Leute zu treffen. Wie an einem Samstagabend im Winter, als eigentlich eine Band spielen sollte, doch die war auf dem Weg irgendwo im Schnee steckengeblieben. Weil der Betreiber wusste, dass wir unsere ganzen Instrumente vor Ort hatten, fragte er, ob wir nicht stattdessen spielen könnten. Wir waren noch kleine Bengel, hatten noch nie was gemacht, aber alle überredeten uns, da jetzt aufzutreten. Also sind wir ins kalte Wasser gesprungen.

Und wie kam das an?

(lacht) Ich glaube nicht, dass es den Leuten gefallen hat. Wir waren vermutlich nicht sonderlich unterhaltsam. Aber für uns gab es diesen ganz besonderen Adrenalin-Kick, den man bekommt, wenn man auf die Bühne geht.

Peavy Wagner Rage historisches Foto
Peavy Wagner bei seinen musikalischen Anfängen in Herne, damals noch mit der Band „The Dark Lights“. © Peavy Wagner | Archiv

Dieser „Kick“ erwies sich für Dich auf jeden Fall als zukunftsweisend, denn Musik wurde ja zu Deinem Lebensinhalt. Doch beinahe hättest Du einen ganz anderen Beruf ergriffen …

Als es mit Rage richtig losging und die erste große Tournee mit den Bands Kreator und Destruction anstand, war ich gerade dabei, meinen zweiten Traumjob zu erlernen. Ich hatte nach längerer Wartezeit nämlich einen Ausbildungsplatz an der Präparatorenschule in Bochum bekommen und habe nebenbei schon für die renommierte Bochumer Präparatorin Ute Ledebur gearbeitet. Damit stand ich vor einer sehr schweren Entscheidung …

Wie kamst Du denn überhaupt zu diesem nicht gerade alltäglichen Berufswunsch?

Mein Vater war Naturwissenschaftler und Lehrer. Er hat auch uns Kindern oft Dinge erklärt, was bei mir auf großes Interesse stieß. Insbesondere hat er Kleintiere für den Unterricht präpariert und mir alles dazu gezeigt. Ich fand das faszinierend.

„Andere Kinder bekommen an der Theke eine Scheibe Fleischwurst, für mich gab es mit Glück einen Kaninchenkopf. “

Peavy Wagner
wollte eigentlich Tierpräparator werden

Eine wichtige Rolle spielte ein toter Igel, denn Du als kleines Kind gefunden hast …

Ich hatte ihn mit einem Stock in unseren Garten geschoben und in der Sandkiste eingebuddelt, weil ich von meinem Vater wusste, dass nach einiger Zeit in der Erde nur Knochen übrigbleiben. Meine Geschwister fanden das natürlich gar nicht so toll. Später gab mein Vater mir dann ein Buch, in dem erklärt wurde, wie Präparieren überhaupt geht. Die notwendigen Chemikalien hat er mir aus der Schule mitgebracht.

Peavy Wagner Rage historisches Foto
Schon als kleiner Junge ein Entdecker: Peavy Wagner grub auch im Sandkasten Schätze aus. © Peavy Wagner | Archiv

Und wie bist Du als Schüler an die Tiere gekommen?

Ich habe zum Beispiel unseren Metzger gefragt, ob er mir Teile überlassen könnte, die er nicht nutzt. Andere Kinder bekommen an der Theke eine Scheibe Fleischwurst, für mich gab es mit Glück einen Kaninchenkopf. Außerdem hat sich mein Interesse in der Verwandtschaft rumgesprochen, und so haben meine Onkel und Tanten mir an Weihnachten eben auch mal einen Schafskopf unter den Baum gelegt.

Worum ging es Dir bei dem Hobby?

Ich hatte ein rein wissenschaftliches Interesse. Mich haben die Skelette und alles, was man aus ihnen lernen kann, fasziniert. Das gilt auch heute noch.

Wie unterscheidet sich das menschliche Skelett denn zum Beispiel von dem einer Katze?

Im Grunde ist der Bauplan aller Wirbeltiere gleich. Natürlich variiert die Anzahl der Knochen, doch das tut sie ja sogar bei Menschen, je nachdem, wie alt sie sind. So haben Kinder noch viel mehr Knochen als Erwachsene. Grundsätzlich lassen sich alle Wirbeltiere aber eben gut miteinander vergleichen, was ich sehr spannend finde. Zu sehen, wie sich die Körper im Laufe der Zeit an äußere Bedingungen angeglichen haben, fasziniert mich.

Wie kam Deine Freizeitbeschäftigung bei Deinen Freunden an?

Damals wie heute ruft sie unterschiedliche Reaktionen hervor. Einige sind total fasziniert und wollen alles wissen, bei anderen erzeugt sie eher Ekel. Ein Mädchen lief immer schreiend weg. Eigentlich erkennen aber alle, die sich etwas mehr damit beschäftigen, ganz schnell, dass da nichts Ekeliges dran ist. Nach wie vor finde ich es erstaunlich, dass man beim Präparieren wirklich sehr viel auch über sich selbst lernen kann.

Peavy Wagner von Rage beim Wacken Open Air
Peavy Wagner ist Frontmann der Metalband Rage, hier beim Wacken Open Air. © Wacken Open Air | Peavy Wagner

Hattest Du schlaflose Nächte, als Du Dich zwischen der Musik und dem Präparieren entscheiden musstest?

Auf jeden Fall – auch weil ich wusste, dass mein Vater total ausflippen würde, wenn ich die Ausbildung hinschmeiße. Aber Ute Ledebur sagte irgendwann zu mir: ‚Mach die Tour! An der Schule kannst Du Dich auch nochmal bewerben und die Ausbildung später beenden. Aber die Chance, mit der Musik was zu erreichen, die kriegst Du nicht nochmal.’

Die Musik wurde bekanntlich zu Deinem Lebenswerk. Allerdings bist Du dem Präparieren ebenso treu geblieben.

Meine ganze Freizeit stecke ich in mein Hobby. Ich bin sehr gut mit einer kleinen, aber feinen Community vernetzt und stehe im Austausch mit anderen Interessierten, mit Experten und Wissenschaftlern. Und ich präpariere auch immer noch.

Was genau machst Du für Arbeiten und für wen?

Größtenteils mache ich das für mich selbst. Aber ich habe viele Jahre mit besagter Ute zusammengearbeitet, mit der ich auch einige Jahre privat liiert war. Sie war ausbildende Lehrerin an der Fachhochschule in Bochum und kannte natürlich viele Leute aus der Präparatoren- und der Wissenschaftlerszene. Mit ihr oder für sie habe ich nebenberuflich Aufträge angenommen, habe zum Beispiel Skelettmontagen und Abgüsse erstellt.

Ein besonderes Exponat brachte Dich sogar ins Fernsehen …

Ich habe lange mit einem Anthropologen zusammengearbeitet, der das Anthropologische Institut an der Universität Tübingen leitete. Der beschäftigte sich viel mit fossilen Knochen von Urmenschen, die ich für ihn durch Abgusstechnik replizieren durfte. Irgendwann ging es um das Skelett eines 3,2 Millionen Jahre alten Vormenschen, der ‚Lucy’ genannt wurde. Die Knochen wurden Anfang der Siebziger in Äthiopien gefunden, doch es fehlten ganz viele. Ich habe die fehlenden Teile nachmodelliert und daraus ist eine richtige Komplettrekonstruktion geworden, die irgendwann auch Teil der ZDF-Sendung Terra X war.

Läuft bei Dir während der Rekonstruktion oder Präparation von Knochen im Hintergrund Heavy Metal oder ist es ganz still?

Ich arbeite gerne alleine und in Ruhe und finde das fast schon meditativ. Ich habe das große Glück, in Herne ein relativ großes Haus zu besitzen, in dem ich eine Werkstatt eingerichtet habe. Eine klassische Skelettmontage dauert schon ein paar Monate, weil da natürlich sehr viel Arbeit drin steckt. Aber ich mache das ja auch nicht hauptberuflich, sondern eben immer so, wie ich Zeit und auch Lust habe.

Kann man Deine Arbeiten irgendwo sehen?

Früher kamen oft Anfragen von Zoos aus dem Ruhrgebiet, wenn dort ein Tier verendet war. Für die Zooschule in Gelsenkirchen habe ich zum Beispiel mal einen Orang-Utan präpariert, der dort auch Besuchergruppen gezeigt wird. Für den Duisburger Zoo habe ich den Abguss eines halben Tigerschädels erstellt, der in einem Schaukasten am Tigergehege angebracht ist. Die Besucher können ihn anfassen und spüren, wie sich zum Beispiel die Zähne des Tiers anfühlen.

Wie viele Stücke gehören zu Deiner Sammlung und welches ist das größte?

Wie viele kann ich gar nicht genau sagen. Es sind Tausende, ich sammele ja, seit ich vier Jahre alt bin. Das Größte, was ich hier habe, ist das Skelett von einem achtjährigen Elchbullen. Der hat eine Höhe von etwa drei Metern und reicht genau bis unter die Decke.

Wie bist Du da rangekommen?

Er hatte sich in einem Gehege bei Paderborn in einem Zaun verfangen und ist verendet. Der Gehegebetreiber rief an und fragte, ob wir ihn haben wollen. Jetzt steht er eben unter meinem Dach.

Peavy Wagner Buchcover
„Soundchaser: Lebenslänglich Heavy Metal. Mein Leben mit Rage“ ist am 6. Dezember bei SPV erschienen. Das Buch kostet für 20 Euro. © SPV | Peavy Wagner

„Lebenslänglich Heavy Metal“ – die Infos zum Buch

Peter „Peavy“ Wagner: Soundchaser. Lebenslänglich Heavy Metal. Mein Leben mit Rage. SPV. 400 Seiten, 20 Euro.