Düsseldorf..

Schnee, der auf die Protagonisten der Generation 70plus fällt: Stephan Rottkamp inszeniert Botho Strauß’ Anti-Weihnachtsstück „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ fürs Düsseldorfer Schauspielhaus.

Was die Wetterlage betrifft, wird die Situation eher noch schlimmer. Dichte Schneeflocken draußen, dichter Schnee aber auch drinnen, leise rieselt es auf die Bühne. Kein Wunder, dass die drei Paare und Single Karl in „Stefans Hof“, Königswinter, zu Eis erstarren. Selbst der Christbaum ist verdorrt. Die kahlen Zweige können die Kugeln kaum tragen. Kurz vor Heiligabend lockt das Schauspielhaus mit einem Anti-Weihnachtsstück ins Theater: Botho Strauß’ 70er-Jahre-Komödie „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“.

Regie führt Stephan Rottkamp, und wie üblich überbordet die Fantasie. Fiel bei seiner „Endstation Sehnsucht“ noch depressiver Dauerregen, ist es nun Schnee. Eine kühle Kulisse für ein böses Stück über eine Gemeinschaft, die ihren Sündenbock findet und opfert.

Weiß der Boden, weiß die Stühle, weiß die Folie um die Pommes, die die dicke Hedda (Christiane Rossbach) in sich hineinschaufelt. Weiß auch die Köpfe. Strauß’ Personal be­gegnet uns als Generation 70plus im 70er-Look: Furchen zum Minirock, Gehfrei zur Schlaghose. Karl, der Zauberer, das „Opfer“, sitzt im Rollstuhl. Doris, die Frau des Ho­teliers, hat ihn bei einem Un­fall verletzt. Nun genießt er Wohn­recht.

Sitzen, gucken, warten

Beneiden sollte man ihn nicht. In „Stefans Hof“ lebt schon lang keiner mehr. Alle sitzen, gucken, warten. „Keine Trennungen, keine Abschiede“, sagt Stefan (Michele Cuciuffo). „In meinem Hotel werden alle die reizenden Herzensverbindungen aufbewahrt.“ Ein „Museum von Leidenschaften“. Sinnstiftend wirkt nur die Liebe zum Amateurtanz. Eine künstliche Verbindung, die bricht, als Doris (Janina Sachau) stürzt. Der Beginn eines poetischen Intermezzos. Eine zweite Doris erscheint, jünger, hübscher – und für kurze Zeit ist alles harmonisch.

Vieles ist gut gemacht. Das Ensemble überzeugt. Es gibt keinen Drehbühnen-Schnickschnack, nur drei Flügeltüren - als sich der Vorhang schneestaubend senkt, wird das Ho­telfoyer zum Saal. Hier entstehen Loriot-ähnliche Situationen. Stoisch walzt das Tanzpaar durch den Schnee. Plötzlich erhebt sich Hedda, singt todernst ein saublödes Liebeslied. An Karls Utopie einer Unterwasserwelt interessiert sie nur, ob’s Fisch gibt. Und als sich Günther und Stefan in Unterhosen gegenübersitzen und knochentrocken debattieren, hat das kabarettistische Qualitäten: Stefan ist bankrott, er will das Hotel verkaufen. Ein Verrat an der Gemeinschaft.

Dass der Applaus dünn ausfällt, dürfte an der Ratlosigkeit liegen, die das Stück hinterlässt. Man kann seine poetische Rät­selhaftigkeit mö­gen oder nicht. Ob Regieeinfälle wie der, statt nur Doris alle zu verjüngen, dem Verständnis dienen, sei dahingestellt. Und manches bleibt in der Entstehungszeit stecken; Bonn ist kein Regierungssitz mehr, die Käuflichkeit von Pos­ten kaum noch ein Aufreger.

Und doch. Wenn das En­sem­ble zu „Ihr Kinderlein kom­met“ hereinbricht und Ste­fan tot am Boden liegt, stellt sich Weihnachts-Grau­sen ein. „Heute ist der erste Feiertag“, sagt Stefan ir­gend­wann. „Morgen der zweite. Und dann kommt auch noch der Sonntag.“ Zumindest das ist in diesem Jahr anders. Es besteht also Hoffnung.