Dortmund. Premiere: Unsere aktuelle Kritik zu „Die Fledermaus“. Die Regie von Hinrich Horstkotte kreist ums Baden. Dabei geht manches unter.

Nun haben wir endlich die Antwort auf Schillers Schaubühne als moralische Anstalt. Sie ist auch: eine amoralische Badeanstalt! Während in Dortmund die Ouvertüre zur Königin aller Operetten erklingt, stürzen sich muskulöse Trockenschwimmer in die Fluten, gehen die Mieder runter, die Hosen auf, schauen die Jüngsten staunend durchs Schlüsselloch der Umkleide, derweil deren Mütter beim gleichen Blickwinkel einen Schreikrampf kriegen. Denn drinnen tut sich Vati anderweitig um.

Fledermaus in Dortmund: Badewanne, Gully, Abfluss

Kein schlechter Einstieg, zumal er den Schauplatz („in einem Badeort in der Nähe einer großen Stadt“) der „Fledermaus“ beim Wort nimmt. Doch hält die verheißungsvolle Eröffnung der dreieinviertel Stunden, die Samstag Premiere hatten, nicht Wort. Eine Fledermaus zwischen Höhenflug - und Mauser.

Oper Die Fledermaus
Verliebt in die eigene Frau: Eisenstein (Fritz Steinbacher) erkennt nicht, dass die schöne Ungarin (Tanja Christine Kuhn) die Gattin ist, die er zuhause hocken ließ. © Oper Dortmund | Björn Hickmann

Es ist ein entschieden unentschiedener Abend. Auf durchaus frischen Witz kommen viele alte Hüte (der x-te gebackene Schweinekopf), szenischem Mut steht reichlich Altbackenes gegenüber. Mitunter atmet man tütenweise den Staub jener Fernseh-Inszenierungen, wie sie vor 50 Jahren in „Erkennen Sie die Melodie“ beklatscht wurden. Eine biedere Tanzeinlage, in der die Frauen die Mäuse und die Männer (langschwänzige) Katzen sind, sei da nur beispielhaft beklagt.

Fledermaus in Dortmund: Regie führt Hinrich Horstkotte

Hinrich Horstkotte inszeniert Johann Strauss. Dessen Fledermaus ist ein Stück voller Ohrwürmer, die bei genauem Hinhören höchst boshafte Insekten sind. Sie erzählen pausenlos von Lüge, von Untreue, von Dekadenz und nicht zuletzt von der perfiden Lust der Oberschicht, sich die niederen Stände auch sexuell dienstbar zu machen. Diesen finsteren Hintergrund lässt Horstkotte links liegen. Durchaus mit Zugkraft, wenn auch bei etwas lästigen Hang zum Klamauk, erzählt er die Geschichte jenes Gabriel von Eisenstein, der in die Falle seines Lebens gelockt wird.

Fledermaus in Dortmund: Fader Ball bei Orlofsky

Wir erinnern uns: „Fledermaus“ heißt das Stück, weil eben mit diesem Kostüm Eisenstein seinen Freund Falke einst öffentlich bloßgestellt hat. Der zahlt es ihm mit einer Riesenintrige heim: Eisenstein wird sich bis auf die Knochen blamieren, auf dem Ball des Prinzen Orlofsky erobert er - ahnungsloserweise - die eigene Frau, Rosalinde.

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So souverän (auch dank Martin Dolniks Bühne) im Puppenhaus-Querschnitt dreier Zimmer des Ehepaars Eisenstein der erste Akt das Knäuel der Begehrlichkeiten zwischen Badewanne und Franz Xaver Winterhalters berühmten „Sisi“-Gemälde (mit dem richtigen Dreh hier auch unbekleidet) entwirrt, so schwerfällig gerät ihm der zentrale Akt auf Orlofskys Ball. Dass der (vokal vorbildliche) Chor hier mal links um die feudale Tafel tanzt, mal rechts rum, darf schon als enormster Spannungsmoment zu Protokoll gegeben werden. Orlofsky sieht Horstkotte als fettwanstigen Diktator mit Babyface. Die Idee bleibt Staffage, die Figur fad bis nervend. Und so sehr die Inszenierung sich müht, das Motiv der Badehauskultur zu ihrer Leitplanke zu machen: Die Riesenbadewanne, die im Vollrausch diese Festgesellschaft vereinnahmt, ist eine Nasszelle ohne tiefere Bedeutung.

Oper Die Fledermaus
Trio vor Sisi: Tanja Christine Kuhn (Rosalinde von Eisenstein), Daegyun Jeong (Falke) und Fritz Steinbacher (Gabriel von Eisenstein). © Oper Dortmund | Björn Hickmann

Bleibt der Schlussakt, in dem Horstkottes handwerkliche Schwäche, Figuren keinen perfekten Fokus zu schenken, den (wieder einmal) prachtvollen Steffen Scheumann als Gefängniswärter Frosch weit weniger glänzen lässt als möglich. Immerhin triumphiert visuell das Konzept hier mit sanitärem Schauwert. Denn der Knast des Badeortes ist unter gewaltigen Gully-Gittern der Abfluss aller Tugendlosen: Durch ein Riesenrohr werden sie zum Showdown in diesen fidelen Hades gespült. Schade, dass dessen Möglichkeiten ausgehöhlt werden von völlig konventionellen szenischen Lösungen, beispielhaft „Spiel ich die Unschuld...“

Fledermaus: Sopran Tanja Christine Kuhn triumphiert

Das Ensemble ist in seiner Güte nicht homogen. Während Fritz Steinbachers Eisenstein den ganzen Abend mit der Partie zu kämpfen hat, singt Tanja Christine Kuhns Rosalinde alle an die Wand. Was für ein Sopran!, herrlich fester Kern, elegante Höhe, sinnlicher Abgrund, feinste Schattierungen bei richtig großer Stimme, eine Drama Queen im allerbesten Sinne. Sooyeon Lees Adele kurierte noch eine Erkältung aus, das Potenzial für ein quecksilbrige Kammerzofe setzte sich dennoch durch. Daegyun Jeongs Falke fehlt szenisches Charisma und mitunter auch die sängerische Durchschlagskraft, Countertenor David DQ Lee (Orlofsky) machte wenig Eindruck. Begeisternd in Schmelz und heldischer Attacke: Sungho Kims Alfred - mehr davon!

Publikum bejubelt Dortmunder Philharmoniker

Im guten, wenn auch nicht frenetischen Schlussapplaus werden vor allem Dortmunds Philharmoniker gefeiert. Das Orchester reizte erzmusikantisch und doch nie pauschal die Pointen der Partitur aus, Motonori Kobayashis Dirigat legte neben der Lust am Feuerwerk eine regelrecht zärtliche Strauss-Verehrung an den Tag, in der betörend schön Stimmen (Holzbläser!) und Atmosphären aufblühen dürfen.

Fledermaus Dortmund: Schaumwein statt Champagner

Mehr als einmal wird in „Die Fledermaus“ dem Champagner ein Loblied gesungen. Dessen feine Perlage weist dieser doch recht lange Abend zu selten auf, ausgeschenkt wird auf der Bühne vorwiegend ein müde vor sich hin blubbernder westfälischer Schaumwein.

Termine und Karten

Johann Strauss: Die Fledermaus. Opernhaus Dortmund. Ca 3h 15 min, eine Pause.
1., 13., 19. 31. Dezember. Weitere Termine bis März 2025.

Karten 16 bis 61€. Alle Info unter theaterdo.de