Gelsenkirchen. Premierenpublikum ist ganz aus dem Knusperhäuschen. Intendant Schulz und grandiose Musiker in Gelsenkirchen für Märchenoper gefeiert.

Liebe zum Detail kann in einer Märchenoper auch im Piccolo-Format für die Großen daherkommen. Und so juxt Michael Schulz’ Regie „Hänsel und Gretel“ ein zweites Grimm-Märchen im Pülleken unter. Ist mal Geld da bei den armen Eltern, schnasselt man „Rotkäppchen“.

Jubel fast ohne Ende für „Hänsel und Gretel“ in Gelsenkirchen

Am Ende, Samstag Abend, wollte der Jubel kaum enden. Das Premierenpublikum feierte nicht nur die fein gearbeitete Inszenierung des Intendanten. Es jauchzten zig Elternpaare, unbändig stolz auf die ihre Jüngsten im Kinderchor. Es gab laute Bravos für eine starke Besetzung, allen voran fürs titelgebende Traumpaar. Kein Wunder: Wenn Lina Hoffmanns Mezzo und Heejin Kims Sopran sich verschwistern („Abends, will ich schlafen gehn...“), ist das zu überirdisch schön, um noch von dieser Welt zu sein. Dazu Almuth Herbst und Benedict Nelson, ein deftiges Elternpaar mit Herz - und Stimmen von Wagner-Format. Und die Hexe trägt Bart und den charakterscharfen Tenor Martin Homrichs in der Kehle

Hänsel und Gretel
Hexe in Zuckerwattenrosa: Tenor Martin Homrich ist am Musiktheater im Revier das garstige Weib namens Rosine Leckermaul. „Hänsel und Gretel“ haben ihre liebe Not, der kinderfressenden Furie zu entwischen. © Musiktheater im Revier | Musiktheater im Revier

Ganz und gar aus dem Knusperhäuschen gerät das Publikum, als die Neue Philharmonie Westfalen sich erhebt: in der Tat die reine Wunderharfe an diesem Abend. Alles leuchtet, vom duftigen Waldweben bis zu den aufgepeitschten Rhythmen schwarzer Magie. Filigran der Ausdruck der Holz-, naturmajestätisch der Klang der Blechbläser. Und seidig wie ein Moosbett im finsteren Wald breiten im Dirigat Giuliano Bettas die Streicher Humperdincks sanft bebende Klangflächen aus. Zwei Sternstunden der Orchesterkultur.

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Wie erzählt man so ein Märchen 2024? Schulz widersteht der Versuchung, die armen Kinder des Besenbinders in Plattenbau und Hartz IV-Korsette unserer Tage zu pressen. Seine Regie führt in ein weitgehend zeitloses Fantasiereich, das in Heike Scheeles Bühnenbild auch an den Strippen des alten Zaubertheaters zieht. Hier haben die Birken Beine, alle Tiere vom Hirschkäfer bis zum Dachs eine fühlende Seele. Und wenn dem hungernden, einsam irrenden Geschwisterpaar im finsteren Forst plötzlich die Natur den Tisch deckt, erfühlt Schulz einfach wundervoll den Geist dieser großen, oft unterschätzten Perle der Opernliteratur.

Intendant Michael Schulz: einfühlsame Regie

Clever balanciert der scheidende Theaterchef Werktreue und Kreativität aus. Der Geschichte schenkt er Stränge dazu. Einen verlorenen Sohn etwa, Bruder Hänsels und Gretels, dem die Kindheit genommen wurde, als das Mannweib im Knusperhaus ihn als ihren Schergen unterjochte.

Hänsel und Gretel
Begeistert gefeiert: Der Kinderchor in „Hänsel und Gretel“. Premiere der Neuinszenierung war am 16.11 im Musiktheater im Revier. © Musiktheater im Revier | Musiktheater im Revier

Apropos Abteilung knusper & knäuschen. Wem der recht kleine, rollende Glaspavillon im Weihnachtsmarkt-Stil als Residenz des kinderfressenden Deibels zu läppisch vorkommt, den lehren schon wenig später dessen Kellerräume das Fürchten. Fährt die Unterbühne diese Verliese auf Augenhöhe hoch, klafft vor uns eine gänsehautfördernde Mordfabrik im Pulverblitz. Dass deren Herrin wie eine pensionierte Chez-Nous-Duse im rosa Fummel auf Kinderjagd geht? Manchmal trägt der Teufel eben doch gern Zuckerwatte – auch wenn Martin Homrich (sehr gut bei Stimme) der Traumrolle noch eine gute Prise mehr Spielwitz einhexen könnte.

„Hänsel und Gretel“ am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

Eine Abend, der Gut von Böse unterscheidet. Ein Abend, der mit viel Herz von der Hoffnung erzählt, dass die Schurken nicht das letzte Wort haben. Und nicht zuletzt vom gnädigen Umgang mit dem Gegner: Denn hier endet die Hexe nicht im Ofen. Sie verliert ihre Macht ganz einfach, weil niemand sie mehr ernst nimmt. Lange nicht hatten wir solche Geschichten so nötig wie heute.

Kurz-Version für Kinder im Angebot

Hänsel und Gretel. Musiktheater im Revier. Ca. 2h 15 min, eine Pause. Termine im November: 24., 28.. 30. Im Dezember: 20., 26., 28. Karten 15-40€

Intendant Michael Schulz führt auch Regie in einer Fassung, der Oper, die sich in Gelsenkirchens Opernhau besonders an Menschen ab 7 wendet. „In kindgerechter Kürze“ gibt es das Musik-Märchen unter dem Titel „Hänsel und Gretel im Zauberwald“. Termine: 23., 26., 27.11,; 3. 4., 8., 17., 18 Dezember.A

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