Essen/Düsseldorf. 1965 schuf Victor Vasarely die Arbeit Canopus für ein Hochschulgebäude, das später abgerissen wurde. Sein Werk verschwand im Archiv. Bis vor kurzem.

Er ist wieder da, der Vasarely. Genauer: Sein Kunstwerk „Canopus“. Seit wenigen Monaten hängt das Riesenwerk, fast sieben mal vier Meter groß, in der Universität Düsseldorf. Eigentlich gehört es da gar nicht hin. Geschaffen wurde das einzigartige Werk für die Pädagogische Hochschule Ruhr vor 60 Jahren. Dann war es 15 Jahre weg von der Bildfläche.

Warum? Das ist eine etwas längere Geschichte, ziemlich genau 60 Jahre lang. Machen wir uns also auf eine Zeitreise mit diesem 6,80 mal 3,80 Meter messenden abstrakten Werk namens Canopus. Das Bild, es zeigt nicht mehr als schwarze Kreise, angeschnitten zum Teil, so dass das Auge auch weiße Kreise sieht, wo eigentlich keine sind. „Die Kunst ist artifiziell, das Eigentliche der Kreativität ist es, sich von der Natur zu trennen, und nicht, sich mit ihr zu verbinden“, hat Victor Vasarely 1953 gesagt.

Canopus - benannt nach dem zweithellsten Stern

Das Zitat ziert eine Wand gebührendem Abstand zum neuen alten Kunstwerk in der Heinrich-Heine-Universität. Doch wer genauer hinschaut zum Canopus sieht, dass die Natur doch ihren Tribut gefordert hat, zumindest die Spuren der Zeit sind geblieben: Bräunliche Patina zeugt hie und da auf den weißen Flächen davon, dass das Bild eine weit längere und bewegtere Geschichte hat als das junge Gebäude, in dem es hängt.

Denn geschaffen wurde das Vasarely-Werk in und für Essen. Canopus ist der zweithellste Stern am Nachthimmel, steht allerdings so tief im Süden am Firmament, dass man ihn hierzulande nicht sehen kann. Vielleicht eine Anspielung auf die Kreise, die man auf dem Bild wahrnimmt, obwohl sie nicht zu sehen sind. Vasarely schuf das Werk als „Kunst am Bau“ für die damals neue Pädagogische Hochschule Ruhr im Jahre 1965.

Hier hatte Vasarelys Canopus für rund vier Jahrzehnte sein Zuhause: In der Pädagogischen Hochschule Ruhr, die später als „Alte PH“ ein Teil der Uni (Duisburg-)Essen wurde.
Hier hatte Vasarelys Canopus für rund vier Jahrzehnte sein Zuhause: In der Pädagogischen Hochschule Ruhr, die später als „Alte PH“ ein Teil der Uni (Duisburg-)Essen wurde. © Ulrich von Born / NRZ | VON BORN, Ulrich (uvb)

Die wurde kaum zehn Jahre später zur „Alten PH“, denn die Lehrerausbildung wurden organisatorisch der Universität Essen zugeschlagen und weitgehend zum neuen Campus verlegt. Das Gebäude wanderte in den Bestand der Bau- und Liegenschaftsbetriebe NRW. Und damit auch die Kunst am Bau. Schon vor der Fusion der Hochschulen Duisburg und Essen war das Gebäude in Rüttenscheid überflüssig, wurde 2005 leergezogen. Und verfiel.

Kurz vor dem Abriss: Die „alte PH“, für die der Vasarely geschaffen wurde, wich mittlerweile Wohnblöcken.
Kurz vor dem Abriss: Die „alte PH“, für die der Vasarely geschaffen wurde, wich mittlerweile Wohnblöcken. © NRZ | VON BORN, Ulrich

2008 bereits fragte die NRZ, was denn nun werde mit dem Kunstwerk von Weltrang, von dem keiner genau weiß, wie es nach Essen kam. Besondere biografische Beziehungen zum Ruhrgebiet pflegte Vasarely nicht. Aber: „Vasarely war Mitte der 60er-Jahre ein weit über die Kunstszene hinaus bekannter Mann, kaum eine Studentenbude kam ohne eins seiner Bilder aus, also jene verformten, verschwimmenden Würfelgebilde. Kunst am Bau war für Vasarely Überzeugungsarbeit, getragen von der Meinung, dass Kunst nicht nur ins Museum gehöre, sondern Allgemeingut, Bestandteil des Lebens sein sollte“, so die NRZ damals.

Vasarelys erste Arbeit in NRW

„Soweit wir wissen, ist das Werk in Essen die erste Arbeit Vasarelys in Nordrhein-Westfalen, die im Rahmen von Kunst am Bau geschaffen wurde“, so Börries Brakebusch, Konservator und Restaurateur in Düsseldorf. Vasarely konnte sich dazu und zu dem Umstand, dass der Stern seiner Kunst rapide gesunken war, nicht mehr äußern. 91-Jährig starb der gebürtige Ungar 1997 in Paris, wo er seit 1930 lebte.

Gezeichnet, Vasarely. Detail des Werkes Canopus.
Gezeichnet, Vasarely. Detail des Werkes Canopus. © Ulrich von Born / NRZ | VON BORN, Ulrich (uvb)

Das Gebäude hatte nach der Schließung  zahlreiche ungebetene Besucher, darunter auch einen Grafitti-Künstler, der unter dem Pseudonym Victor Szabo arbeitet. Er veränderte den Vasarely unter anderem mit Blautönen, so dass aus den strengen Kreisen und Kugeln mit etwas Phantasie so etwas wie Vogelfiguren wurden.

In diesem Zustand immerhin wurde der Vasarely gesichert. Wirkt es auf den Betrachter so, als sei in der alten PH eine Wand bemalt worden, so hat Vasarely seine Farbe jedoch auf einer Art Membran aufgebracht. „Wir haben das gut vorbereitet und konnten das Kunstwerk innerhalb eines Tages abnehmen und aufrollen“, erinnert sich Restaurator Brakebusch an die Entfernung der Polyesterschicht mit dem Kunstwerk.

Victor Vasarely „Canopus“
Victor Vasarelys „Canopus“ wurde vom Grafitti-Künstler Victor Szabo uminterpretiert, als das Gebäude zunehmend verfiel. Die Eingriffe wurden in der Restaurierung entfernt. © Brakebusch | Brakebusch


Seinerzeit, nur kurz nach der Demontage, lud der LVR zu einer Pressekonferenz und wollte über die Geschichte und die Restaurierungsbemühungen berichten, die aber wurde ohne Angabe von Gründen abgesagt. Mehrfache Nachfragen der NRZ in den Folgejahren, was denn nun mit dem Vasarely geschehe, blieben unbeantwortet. Auch Brakebusch stieß bei seinen Recherchen zur Geschichte des Kunstwerks auf unerwartete Hindernisse: die Bauakte zur alten PH, sie ist im Stadtarchiv Essen nicht auffindbar.

Der Vasarely blieb ihm dennoch ein Herzensanliegen. „Ich fürchtete, dass der für immer in irgendeinem Container im Depot verschwindet“, sagte er. Was tun? Er machte das Kunstwerk zum Forschungsgegenstand. An der Technischen Hochschule Köln entstand eine Masterarbeit darüber, wer wie mit welchen Interessen über die Zukunft eines Kunstwerkes entscheidet – am Beispiel der Arbeit „Canopus“ von Vasarely.

„Verziert“ durch einen Graffiti-Künstler

Ergebnis: Ein legitimes Interesse am Kunstwerk können viele geltend machen. Der Künstler natürlich, beziehungsweise die Erben. Sogar der Graffitikünstler, auch wenn er nie damit gerechnet hat, dass seine – juristisch betrachtet – Sachbeschädigung einen eigenen Kunstwert haben würde, sogar über die Zeit bis zum geplanten Abriss des Gebäudes hinaus. Nicht mitzureden, hat übrigens die Stadt Essen oder die Universität Duisburg-Essen, wo das Kunstwerk ja zuhause war.

Rechte hat aber vor allem aber: Der Eigentümer. Also das Land NRW beziehungsweise die Bau- und Liegenschaftsbetriebe. Und: der Landschaftsverband Rheinland (LVR) als Obere Denkmalbehörde, denn womöglich und tatsächlich hat das Kunstwerk ja auch einen Denkmalwert. Damals, 2008, versprach Petra Becker, seinerzeit oberste Denkmalschützerin des LVR: Der Ort, an dem das Kunstwerk einen neuen Platz findet, stehe noch nicht fest. „Aber es soll in Essen bleiben und in einem öffentliche Gebäude zu sehen sein“, so die Expertin. Die Universität habe Interesse gezeigt.

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Hier ist der Vasarely nun zuhause: Im Treppenhaus und Foyer des Gebäudes 26.24 der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. © Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf | Peter Sondermann

Offenbar aber nicht genug. Man habe keinen geeigneten Platz gefunden, so die Uni Duisburg-Essen, die es sich mit ihrem Vermieter wohl nicht verderben will und verlauten lässt, man freue sich, „dass dieses bedeutsame Kunstwerk nach 10 Jahren nun an der HHU einen passenden Platz gefunden hat und wieder öffentlich sichtbar ist.“

Vasarelys Erben stimmten dem Umzug zu

Warum aber machte Düsseldorf mal wieder das Rennen, so wie beim Fotoinstitut des Bundes? Die Bau- und Liegenschaftsbetriebe erläutern: „Die Restaurierung und der Umzug des Kunstwerks waren ein komplexes Vorhaben“, alle seien beteiligt gewesen: Expertinnen des Netzwerks „Kunst und Bau“ innerhalb des BLB NRW, externe Kunstsachverständige. Und man habe den Segen des Schöpfers: „Bei der Entscheidung für den neuen Standort wurde auch die Fondation Vasarely mit Sitz in Aix-en-Provence, Frankreich, als Nachlassverwalter des verstorbenen Künstlers mit einbezogen und stimmte der Aufhängung am neuen Ort zu.“ Mächtig stolz ist man offenbar auf die gelungene Wiederinstallation, man produzierte sogar ein Video dazu.

Das gilt auch für die Heinrich-Heine-Universität: Das wurde bereits zum Startpunkt einer Führung ehemaliger Absolventen zu Kunst und Kultur an der Heinrich-Heine-Universität. Späte Ehre also für ein Werk, das in Essen beinahe der Abrissbirne zum Opfer gefallen wäre.