Köln. Der Dokumentarfilm „Riefenstahl“ eröffnete das Film Festival Cologne. Produzentin Sandra Maischberger: Warum Riefenstahl heute aktueller ist denn je.

Mit der gefeierten Premiere des Dokumentarfilms „Riefenstahl“ begann am Donnerstag das Film Festival Cologne. Produzentin Sandra Maischberger erklärt, warum Leben und Werk von Hitlers Lieblingsregisseurin heute aktueller sind denn je.

In Zeiten KI-generierter Fake-News und Propaganda mit Trollen und Deep-Fakes: Was können wir heute noch von Leni Riefenstahl lernen? Was müssen wir fürchten?
Die Technik ist raffinierter geworden, aber das Prinzip hat sich nicht geändert: Man spricht eine Lüge erst einmal aus – und dann bleibt man dabei. Der Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari beschreibt genau das: Das Prinzip von Propaganda oder Fake-News ist, dass man eine Lüge in die Welt setzt, sie dann wiederholt und zur Wahrheit erklärt. Solange, bis viele Menschen denken: Vielleicht ist es ja wahr.

Sie meinen die Lebenslüge Leni Riefenstahls, sie sei unpolitisch gewesen, eine Mitläuferin des NS-Regimes?
Es bezieht sich vor allem auch auf politische Lügen, darauf, wie man ein Regime darstellt, beispielsweise in der vermeintlichen Großartigkeit, in denen Riefenstahl das NS-Regime darstellt. Das können Sie auch auf andere Regime übertragen.

Sie sind an den Nachlass Leni Riefenstahls herangekommen und konnten ihn aufarbeiten. War das mehr Lust oder Last?
Für mich als Journalistin ist es zunächst einmal spannend. Lust wäre nicht mein Wort dafür. Aber es ist spannend, wenn man Dokumente vor sich hat, die zuvor noch niemand im öffentlichen Raum gesehen hat. Eine Last wird es auch nicht wirklich, aber es war eine Anstrengung, weil es 700 Kisten waren, eine unglaubliche Menge. Daraus einen Film zu machen hat Regisseur Andres Veiel und unser Team schon sehr viel Kraft gekostet.

Wie kam die Zusammenarbeit mit Andres Veiel zustande?
Wir haben uns gefragt: Wer kann einer solch großen Materialmenge begegnen, ohne darin zu ertrinken? Wer kann einen Menschen psychologisch zeichnen, aber eben auch im politischen und historischen Kontext? Und wer hat die künstlerischen Fertigkeiten, das nicht langweilig zu erzählen? Andres Veiel hatte gerade seinen Film über Beuys präsentiert und hat das da gezeigt. Er hat uns dann zugesagt, sein Team mitgebracht, zu den Archivarinnen auch die Editoren im Schneideraum. Wir haben gemeinsam das Thema gesucht, er hat den Film gemacht. Manchmal haben wir um den richtigen Weg gestritten – aber wir sind weitergegangen.

„Es muss ein Film sein, der für sich selber spricht“: Sandra Maischberger über den Film „Riefenstahl“ und ihren Anspruch an Regisseur Andres Veiel.
„Es muss ein Film sein, der für sich selber spricht“: Sandra Maischberger über den Film „Riefenstahl“ und ihren Anspruch an Regisseur Andres Veiel. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Ist das eine Gratwanderung? Eine der begabtesten, perfidesten Propagandistinnen des Kinos zu entlarven – mit den Mitteln des Kinos?
Wenn man sie komplett entlarven wollte, wäre das schwierig, denn sie ist eine Meistererzählerin ihrer eigenen Geschichte gewesen. Es war auch deshalb schwierig, weil sie für einen ästhetischen Anspruch steht, den man ja nicht unterschreiten will. Ich war von Anfang an der festen Überzeugung: Es muss ein Film sein, der für sich selber spricht, er muss über ihre Biografie hinauswachsen und ein eigenständiges Kunstwerk werden.

Dann funktioniert Aufklärung auch in dem Medium, in dem die Verführung funktioniert hat? Ist das der Anspruch?
Film ist ein Werkzeug. Sie können damit verführen, aber Sie können damit auch aufklären. Das haben wir versucht.

Kann man aus dem Film für unsere Zeit mit Fake-News, KI-generierten Deep-Fakes und Internet-Propaganda etwas mitnehmen?
Ich würde mir wünschen, dass sich die Betrachter sich fragen: Inwieweit bin ich bereit, mich auf Verführung einzulassen? Harari sagt: Wir Menschen reagieren am schnellsten über die Knöpfe Hass, Gier und Angst. Das sind Affekte, instinktbasiert. Das hat in biblischer Zeit funktioniert und das klappt auch heute. Deswegen sollten wir uns immer fragen: Muss ich dem jetzt folgen? Muss ich immer dem ersten Impuls nachgeben? Mich aufregen, wütend sein, meiner Angst freien Lauf lassen?

„Ich bin an ihr zerschellt. Ich wollte einen Menschen treffen und fand eine Figur.“ Sandra Maischberger über ihr Interview mit Leni Riefenstahl im Jahr 2002 für arte/ZDF.
„Ich bin an ihr zerschellt. Ich wollte einen Menschen treffen und fand eine Figur.“ Sandra Maischberger über ihr Interview mit Leni Riefenstahl im Jahr 2002 für arte/ZDF. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Sie haben 2002 ein Interview mit Leni Riefenstahl geführt, dass Sie im Nachhinein, hart formuliert, als gescheitert betrachtet haben.
Gescheitert ist ein großes Wort. Ich bin an ihr zerschellt. Ich wollte einen Menschen treffen und fand eine Figur. Ich wollte Fragen beantwortet haben, ich wollte sie verstehen, ergründen und vielleicht ein bisschen durchschauen. Und das ist mir nicht wirklich gelungen.

Weil sie in ihrer Rolle als unpolitische Regisseurin blieb?
Das war ihr Tenor: Ich war eine unpolitische Künstlerin und Kunst und Politik haben nichts miteinander zu tun. Ich war mir damals nicht sicher, ob das nicht zu einem gewissen Grad stimmte. Ihre Antworten auf meine Fragen hätte ich aber auch aus Zeitungen 50 Jahren zuvor holen können. Mir war klar: Das kann nicht alles gewesen sein. Ich wollte verstehen, wie sie das geworden war, was sie war. Die Leni Riefenstahl der 20er-Jahre könnte einen durchaus beeindrucken. Sie hat sich die Filmwelt erschlossen, sie hat sich in einer Männerwelt durchgesetzt.

Also eine Emanzipationsgeschichte?
Sie war eine emanzipierte Frau, auch wenn sie sich so nicht bezeichnet hätte. Auch in ihrem Unabhängigkeitsdrang. Sie war eine Self-Made-Woman, und das war ein Teil an ihr, den ich gern hätte bewundern wollen, wenn sie nicht falsch abgebogen wäre.

„Mit dem Material von heute würde ich das Interview von 2002 noch einmal führen. Aber ich weiß nicht, ob ich weiterkommen würde“: Sandra Maischberger zur Frage, ob Riefenstahl für sie ein Talkshowgast wäre.  
„Mit dem Material von heute würde ich das Interview von 2002 noch einmal führen. Aber ich weiß nicht, ob ich weiterkommen würde“: Sandra Maischberger zur Frage, ob Riefenstahl für sie ein Talkshowgast wäre.   © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Gerade in den 70ern, als eigentlich die Aufarbeitung der NS-Geschichte in der Bundesrepublik Fahrt aufnahm, wurde Leni Riefenstahl wieder hofiert, geehrt, bekam Preise. Wie erklären Sie sich das?
Sie hatte schon in den 50er-Jahren im Ausland wieder erste Retrospektiven. Da beschäftigte man sich schon mit ihrer Ästhetik und ihrer ästhetischen Wirkmacht. Ich glaube, dass sie in den 70ern auch sinnbildlich dafür stand: Wir haben das Schlimmste aufgearbeitet. Und da war nun eine Frau, die sagte: Selbst ich habe nichts gewusst, obwohl ich so nah dran war an Hitler. Und das wollte man gern glauben.

Da begann die Trennung zwischen Leben und Werk der Künstlerin?
Sie dürfen nicht vergessen, sie hatte in dieser Zeit mit den Nuba-Bildbänden auch ein neues Werk vorgelegt. Diese Bilder waren zunächst einmal von einer großen Schönheit. Das hat sie wieder populär gemacht. Auch wenn Susan Sontag darin faschistische Muster erkannte. Aber weit mehr Menschen haben sie wieder bewundert. Und so begann ihre Rückkehr in die Mitte der Gesellschaft

Würden Sie Leni Riefenstahl heute noch in ihre Talkshow laden?
Mit dem Material von heute würde ich das Interview von 2002 noch einmal führen. Nun hätte ich Briefe, Tonaufnahmen, Dokumente, die ich damals nicht hatte. Aber ich weiß nicht, ob ich weiterkommen würde. Das ist ja das Perfide an Populisten. Es geht am Ende nicht um die Wahrheit, sondern darum, wer mit den besseren Schlagworten gewinnt. Ich weiß nicht, ob ich weitergekommen wäre, aber ich hätte es sehr gern probiert.