Herne. Das dürfte ein neuer Renner im Volkstheater von Wanne-Eickel werden: Sigi Domkes neues Stück über die zweischneidige 70er-Jahre-Nostalgie.

„Dat Theater zu Hause kenn ich schon, da dacht ich mir, ich guck mir dat hier mal an“, frotzelt der Mittfünfziger noch kurz vorm Vorhang. Schließlich redet das Publikum im Mondpalast nicht anders als die da oben. Und die Typen auf den Brettern unterm Scheinwerfermond von Wanne-Eickel, die könnten eigentlich auch unten im Publikum sitzen. Am Ende aber, nach gut zweieinhalb Stunden „Rolle rückwärts“ baden die einen im minutenlangen Applaus der anderen, und die Welt ist wieder ein Stückchen heller geworden, auch wenn es draußen im Dunkeln schüttet wie aus Eimern.

Mondpalast-Premiere von *** Rolle rückwärts ***
„Rolle rückwärts“ im Mondpalast mit Susanne Fernkorn, Astrid Breidbach, Ekki Eumann, Dominik Cern und Melanie Linka (von links). © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

„Rolle rückwärts“ ist der neue Wurf des Mondpalast-Hausautors Sigi Domke, und er bringt das Kunststück fertig, in 70er-Jahre-Nostalgie zu baden, ohne darin unterzugehen. Vielleicht reizt an dieser Zeit heute so sehr, dass es damals keine Nostalgie, kein „Vintage“, kein Revival gab, sondern nach vorn ging, bei allen Rückschlägen zwischendurch. Abgesehen davon waren ausnahmslos alle, die damals dabeiwaren, jünger als heute. Und sahen auch so aus.

Die „Rolle rückwärts“ läuft ein bisschen betulich an: Spediteur Helge Heck (Ekki Eumann) wird schon bei den Verkehrsnachrichten am Frühstückstisch nervös, da wird empfohlen, das Ruhrgebiet weiträumig zu umfahren, 14 Brücken sind gesperrt (am Premierenabend traf das tatsächlich mal wieder auf die A42-Brücke zu). Das einzige, was bei Heck noch rast, ist der Puls. Tochter Maja (tapfer trotz Kehlkopfschmerzen: Melanie Linka) hingegen achtet sehr auf Work-Life-Balance und sitzt seit einem Jahr an ihrer Master-Arbeit in Soziologie.

Mondpalast-Premiere von *** Rolle rückwärts ***
Melanie Linka als Maja Heck und Heiko Büscher als Ollie Paslack und bei der Premiere der „Rolle rückwärts“ in Mondpalast. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Das eigentliche Drama aber beginnt mit dem Einzug des neuen Nachbarn Ollie Paslack (hemmungslos, mit ruhrdeutsch-englischem Slang-Mischmasch: Heiko Büscher): Mit seinem Faible für die 70er-Jahre steckt er allmählich alle um sich herum an – bis auf Uschi Heck, die Spediteurs-Gattin, der Astrid Breidbach ein charakterstarkes Format gibt.

Nach der Pause nimmt das Stück mit einer starken Rolle vorwärts Fahrt auf, wenn der gestresste Spediteur in einen „pubertären Vorruhestand“ geht, wie seine entsetzte Frau das nennt. Bis dahin besteht das Vergnügen aus Kalauern („Ich hab das Gefühl, die Brücke wackelt!“ – „Wenn man drüberfährt?“ – „Nee, wenn man draufbeißt.“), satirischen Spitzen („Ohne DHL wüssten viele gar nicht, wie ihre Nachbarn aussehen“) und Situationskomik aus menschlichen Lava-Lampen oder einem Oppa (Axel Schönnenberg), der sich die frühere Arbeit am Stahlofen mit Lügengeschichten schönredet. Auch eine Art von Nostalgie.

Beifallsjubel auch für Regisseur Martin Zaik und Dominik Cerne

Esoterisches Achtsamkeitsgefasel bekommt ebenso sein Wohlstandsfett weg wie besinnungslose Malocherei oder der Selbstverwirklichungs-Egoismus. Am Ende stehen alle 500 Volkstheaterfans im Saal und jagen das Applausometer in neue Höhen, auch für Dominik Cerne (als jugendlicher Liebhaber) und Martin Zaik, der erstmals allein Regie führte, sowie für Bühnenbildner Marcel Stränger. Ähnlich viel Beifall erntete die von Theaterdirektor Marvin Böttcher verkündete Gründung eines Mondpalast-Fanclubs.

Die nächsten Termine: 11., 12. und 13. Oktober, 1., 2., 3., 8., 9. und 10. November. Karten: Tel. 02325 / 588 999 sowie https://www.mondpalast.com/programm