Dortmund. Viel mehr als „Rhapsody in Blue“. Das WDR-Rundfunkorchester wird Dienstag gefeiert: Ein Gershwin-Porträt in hinreißenden Farben.

Als der Jubel im Konzerthaus so gar nicht nachlassen wollte Dienstag Abend, da gab Wayne Marshall auf seine Weise Auskunft darüber, wie gut „sein“ Orchester ist. So gut, dass es ohne Maestro kann! Vierbeinig sogar. Der Brite sagte George Gershwins „Walking the Dog“ bloß noch an, um die Promenadenmischung mit Seegang dem WDR-Rundfunkorchester allein zu überlassen, während Marshall selbst schon Richtung Dortmunder Brückstraße zu schlendern schien. Es war das überaus charmante Finale eines gefeierten Abends.

Konzerthaus Dortmund feiert 100 Jahre „Rhapsody in Blue“

Geburtstage findet jeder Konzertdramaturg zur Genüge, um Programme zu stricken. Aber der eines Jahrhundertwerkes wie der „Rhapsody in Blue“ ist nun wirklich ein glücklicher Ernstfall von Anlass. Was da Anfang 1924, mit einem hemmungslos auf alle klassische Konvention pfeifenden Klarinettensolo begann, war ja nicht weniger als eine Revolution. Gewiss, es lag in der Luft, aber wie hier die Sinfonik tiefste Züge des Jazz inhalierte und dabei auf das Herrlichste high wurde, das setzte Maßstäbe. Und es war alles andere als flüchtig. Man kann sich den ganzen Leonard Bernstein nicht denken, ohne den Pionier Gershwin, der für so vieles andere noch Türen öffnete, allem voran in „Porgy und Bess“ Afroamerikaner zu Opernhelden machte.

George Jacob Gershwin
George Gershwin (1898 -1937) stand jetzt im Mittelpunkt eines umjubelten Abends im Dortmunder Konzerthaus. Wer den Auftritt des WDR-Rundfunkorchesters verpasst hat: Im Oktober gibt es das gleiche Programm in Oberhausen. © Universal History Archive/Universal Images Group via Getty Images | Universal History Archive

Sieben Jahre (bis 2021) stand Marshall dem WDR-Klangkörper vor. Wenn er heute als Gast kommt, feiert ihn das Orchester. Viel Internationales Repertoire hat er mit den Musikern gemacht, die elegante Entertainment-Attitüde haben die exzellenten Trompeten nicht weniger drauf als die federleicht auftrumpfende Cello-Gruppe. Dass ein großer Gershwin mitunter in den gegenläufigen Rhythmen, den irrwitzigen Tempiwechseln, den dynamischen Achterbahnfahrten mitunter kaum weniger Ansprüche stellt als ein Strawinsky-Brocken, das alles lässt das Rundfunkorchester in funkelnder Spiellaune komplett vergessen.

Verneigung vor dem großen Komponisten Gershwin - mehr als Broadway

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Und doch: Dieses gewaltige Zweistundenpaket, vom Zirzensischen eines „Girl Crazy“-Musicals bis zur subtilen Opernelegie um „Porgy and Bess“, dient längst nicht nur zum Show-Off eines begnadeten Orchesters und des Pianisten Marshall, der uns in der Rhapsody einfach nur dankbar staunend zurücklässt. Es ist dieser Abend vor allem eine große Verneigung vor einem vielleicht selbst noch im Konzertsaal des 21. Jahrhunderts unterschätzten Genie, das den Broadway-Stempel nie ganz los wurde.


 
 Glänzend aufgelegt für Gershwin: Das WDR-Rundfunkorchester gastierte im Dortmunder Konzerthaus.
   Glänzend aufgelegt für Gershwin: Das WDR-Rundfunkorchester gastierte im Dortmunder Konzerthaus. © WDR | Dominik Mentzos

Dass hier einer das Komponieren nie über die klassische Schule vervollkommnen konnte und dennoch zu einer so unfassbar brillanten Orchester-Rhetorik fand, davon sang dieser Dortmunder Abend ein Hohes Lied. Es war übrigens ausverkauft bis unters Dach. Wer das Programm, das Unterhaltung und Anspruch sehr clever vermählte, doch noch live erleben will, hat bei sehr günstigen Ticketpreisen bald in Oberhausen Gelegenheit dazu. Empfehlenswert!