Köln. Die blutigen Bilderfluten, die Tool in der Kölner Arena erzeugt, gehen an die Grenzen des Erträglichen. Maynard James Keenan ist kein Frontmann.

Es gibt Lorbeerkränze. Lorbeersträucher. Und Lorbeerbäume. Für den fetten Vorschuss, der Tool zuteil wird, muss ein ganzer Wald der immergrünen Heil- und Gewürzpflanzen herhalten. Schon dreimal wurde die Band aus Los Angeles mit einem Grammy für die „Beste Metal Performance“ ausgezeichnet, das Fachmagazin „Metal Hammer“ preist ihre Konzerte als „transzendentales Erlebnis, das die Grenzen des Genres sprengt“, und in einem Fan-Blog findet sich der ehrfürchtige Satz: „Normale Bands stöpseln sich in Verstärker ein, Tool ins Universum.“ Sind die live wirklich so gut? Dienstag wird die Kölner Arena zum Testlabor.

Antwort nach fast zweieinhalb Stunden: Ja. Die sind wirklich so gut. Aber das, was Sänger Maynard James Keenan, Bassist Justin Chancellor, Gitarrist Adam Jones und Drummer Danny Carey abliefern, ist zugleich auch grenzwertig. In dem Sinne, dass das, was das Quartett da so genialisch auf die Bühne bringt, Grenzen überschreitet. Die des seelisch Erträglichen und die der maximalen Aufnahmefähigkeit, die ein Gehirn zu leisten in der Lage ist.

Tool erschafft Bildergalaxien aus Adergespinsten und abgetrennten Gliedmaßen

Es gibt Bilderfluten. Bilderräusche. Und Bilderfluten. Tool geben sich mit all dem nicht zufrieden. Sie erschaffen Bildergalaxien. Aus Zellbrei, Knorpeln und Knochen, Blutgefäßen, Adergespinsten und abgetrennten Gliedmaßen. Asche gischtet, Lava brockt, blaues Licht haucht Eisiges hinein in Höhlen, in denen Echsen wohnen. Die man aber nicht sieht. Was sie umso bedrohlicher macht. Alienhafte Wesen mit Nasenstümpfen und leeren Augen graben ihre riesigen Zähne in den Körper einer Frau und fressen sich hinein.

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Totenmasken zerlaufen wie Wachs, Stacheldraht, von eigenen Händen gezogen, dringt in Oberarme. Blut. Schwarzes Blut. Schwälle von Blut. Tauchfahrten in den Bauch eines Raumkreuzers, atmende, katakombische Maschinenhallen, kaleidoskopische Kathedralen für Borgs. All das auf einer Leinwand, die von der Decke der Arena bis zum Bühnenboden reicht, konkav geformt, so dass man sich wie in diesen monumentalen Mahlstrom hinein gesogen fühlt, die Illusion erweckend, die davor agierenden Bandmitglieder seien Teil des monumentalen Mahlstroms. Und wahrscheinlich sind sie das sogar, als Werkzeuge des Metalls, das sie hier kochendheiß mit wuchtigen Hammerschlägen bearbeiten. Aber auch fein zu ziselieren, avantgardistisch zu veredeln, in vielfachen Schichten auf- und übereinander zu legen, so als gelte es eine Damaszenerklinge zu erhitzen und im Feuer zur vollendeten Form zu schweißen.  

Sänger Keenan ist kein Frontmann und hält sich lieber im Hintergrund

Unterm siebenzackigen Stern, den sich Tool als Signet erkoren haben, bilden Laserstrahlen eine Manege aus Licht. Sänger Keenan, dessen delikate Stimme anfangs nur sehr schlecht durchdringt, das wird erst nach der zwölfminütigen Pause besser, ist kein Frontmann. Er hält sich im Hintergrund, ein Schattenriss mit punkiger Zackenfrisur, der so wirkt, als wolle er jeden Moment zum Sprung vom Lautsprecherturm ansetzen.

Auch seine Mitstreiter stehen erst im zweiten Teil im Scheinwerferlicht. Hier nimmt eine Band sich selbst, in personae, weniger wichtig als ihre Musik und ihr Gesamtkunstwerk. Und das ist, inmitten dieser grenzwertigen, grenzenlos guten Erhabenheit des Schrecklichen, eindeutig ein Pluspunkt.