Köln. Die Lanxess-Arena ist bis unters Dach ausverkauft, und die 21-jährige Senkrechtstarterin gibt sich keine Blößen – außer den gewollten.

Man könnte jetzt herrlich gehässig sein. Und schreiben, dass sie jetzt, wo sie 21 ist, nicht länger lustige „Bizzaardwark“-Videos fürs Kinderprogramm drehen muss. Oder im Film die Bäckerei ihres Opas retten. Oder sich an Disneys High School am Hickhack um ein Musical beteiligen. Sondern Alkohol trinken darf, rauchen und sich einen Colt kaufen. Man könnte auch bitterlich weinen. Wenn man an die beiden blassen Mädchen mit den geflochtenen holländischen Zöpfen denkt, die noch um 20.15 Uhr wie traurige Satelliten die Kölner Arena umkreisten: „Suchen Karten!“ Man könnte so vieles. Aber warum nicht einfach schreiben, was Sache war? Olivia, das hast Du gut gemacht!

Ganz so hoch gehandelt wie Billie Eilish oder Taylor Swift wird Olivia Rodrigo zwar noch nicht, aber die junge US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin steht kurz davor. Schon als Siebenjährige griff sie in die Klaviertasten und zum Mikrofon, machte später bei Schultheaterproduktionen mit und arbeitete sich im Teenager-Alter, siehe oben, wacker durch diverse „Mit-Hilfe-meiner-besten-Freundin-wird’s-schon-klappen“-Rollen. 2021 ging ihre Debütsingle „Drivers License“ durch die Decke. Jetzt ist ihr zweites Platz-1-Album raus und sie füllt die Arena bis unters Dach. Suchen Karten? Ach Mädels, Vergesst es.

Olivia Rodrigo gibt sich in der Kölner Arena keine Blößen – nur die gewollten

In ihrer 93-Minuten-Show gibt sich Rodrigo keine Blößen. Nur die gewollten: Mit ultraknappen, ultrakurz glitzernden und schimmernden Outfits, die einen ultraflachen Bauch und ultralange Beine präsentieren. Sexy. Aber sauber sexy. Verrucht wirkt das kein bisschen. Eher so, als wäre sie ein bisschen overdressed am Strand erschienen. Netzstrümpfe ja. Aber dazu Boots. Das macht das Ganze bodenständiger. Und es lässt sich damit auch viel besser tanzen.

Boots, Netzstrümpfe und Pailletten: Olivia Rodrigo.
Boots, Netzstrümpfe und Pailletten: Olivia Rodrigo. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Tausende junge Frauen tun es ihr nach. Im Rodrigo-Look mit Röcken in allen Farben des Regenbogens, die aus münzgroßen Pailletten bestehen, ähnlichem Strumpf- und Schuhwerk. Ab dem Intro „Bad ideas right?“ sitzt niemand mehr auf den Rängen. Alle stehen, singen jede Zeile mit, machen dazu die passenden dramatischen Gesten und Bewegungen. So wie daheim vorm Spiegel.

Olivia Rodrigos Mix aus Pop-Balladen und Disco-Krachern ist perfekt dosiert

Wären die taillenlangen Haare von Rodrigo ebenholzschwarz und nicht braun, würde sie mit ihren kirschroten Lippen und ihrer durchscheinenden Haut ein 1A-Schneewittchen abgeben. Sie ist wunderschön, extrem nahbar und eine Teamplayerin. Immer wieder interagiert sie mit Frauen aus ihrer Band, tanzt in einer Reihe mit ihren acht Tänzerinnen. Ihr Mix aus Pop-Balladen und Disco-Krachern ist perfekt dosiert.

Sie singt von Herzschmerz, Eifersucht und Teenagerträumen, aber in „Pretty isn’t pretty“ auch davon, dass Schönheitsideale scheiße sind. Oder macht sich über das Bild der „All American-Bitch“ lustig. Also darüber, nach jener Sorte Perfektion zu streben, die Männern zupass kommt, die Frauen lieber passiv mögen, devot, dienst- und dankbar, aber sexuell trotzdem (oder gerade deshalb) verlockend. Dem kranken Bild der Heiligen, die eine Hure ist, lässt sich, wenn überhaupt, nur mit solchen Texten beikommen.

Manchmal ist bei Olivia Rodrigo auch viel Retro im Spiel

Mit einer Fotoalben-Optik, dem roten, singenden Mund aus der Rocky Horror Picture Show oder dem von oben gefilmten Tisch, auf dem sich Rodrigo räkelt, derweil die Tänzerinnen drum herum Synchronfiguren wie beim Wasserballett einnehmen, ist auch viel Retro im Spiel. Zwei Catwalks sorgen für Nähe. Der Höhepunkt des Abends ist die Luftfahrt auf der schimmernden Mondsichel über den Innenraum, bei „Logical“ und „Enough for You“, umgeben von leuchtenden Sternen. Das sieht wunderschön aus.

„Guter Mond, du gehst so stille…“, denkt man noch, ganz versunken und versonnen. Rodrigos Aufforderung „Squeeze“ („Quietscht!“), der alle sofort in infernalischer Lautstärke nachkommen, wirkt da wie eine kalte Dusche. Es ist die einzige an diesem sonst rundum gelungenen Abend.

Olivia, das hast Du gut gemacht!